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Mittwoch, 25. Juli 2012

The Rabbit Diaries, Pt. I


Für die nächsten zwei Wochen habe ich eine neue Lebensaufgabe, oder sagen wir: Teil-Lebensaufgabe. Ich habe einer Freundin (nennen wir sie mal Kati) versprochen, mich um ihre Kaninchen zu kümmern, während sie im Urlaub ist. Es handelt sich dabei um zwei Zwergkaninchen – auch wenn ich mir unter dieser Bezeichnung etwas wesentlich Kleineres vorgestellt hätte – namens Flocke und König Friedrich. Flocke ist eine alte Dame, weiß mit vereinzelten schwarzen Flecken; sie strahlt eine stoische Ruhe aus und scheint keine anderen Leidenschaften als Fressen und Schlafen zu haben.


König Friedrich ist hellbraun und schlappohrig und gemessen an seiner Pummeligkeit ziemlich beweglich, allerdings sehr menschenscheu. Er kommt aus einem Tierheim, und man weiß nicht so genau, was er früher so alles hat durchmachen müssen. Jedenfalls versteckt er sich gern unter dem Bett oder dem Sofa. Kati sagt, es sei ziemlich aussichtslos, ihn per Hand einfangen zu wollen; mehr Erfolg verspreche es, ihn mit einer Schale Trockenfutter anzulocken.


-- Dass ich mich, als Kati für die Dauer ihres Urlaubs einen „Kaninchensitter“ suchte, freiwillig meldete, war zunächst einmal dadurch motiviert, dass ich ihr gern einen Gefallen tun bzw. eine Sorge abnehmen wollte. Schließlich ist sie eine sehr gute Freundin, auf die ich mich immer verlassen kann, also fand ich, dies sei eine willkommene Gelegenheit, auch einmal etwas für sie zu tun. Ihre erste Reaktion auf mein Anerbieten ließ mir allerdings ein wenig die Luft raus: "Bist du dir sicher? Überleg' dir das bitte gut!"

Vermutlich meinte sie es nur gut, nicht nur mit ihren Kaninchen, sondern auch mit mir. Aber sie erwischte mich da an einem empfindlichen Punkt: Ich meinte da gewisse Zweifel an meiner Eignung zum Kaninchensitter herauszuhören, an meiner Verlässlichkeit, meiner Fürsorglichkeit. Das spornte mich letztlich aber nur umso mehr an. Ich bin ein erwachsener Mann, sagte ich mir; ich bin sehr wohl in der Lage, Verantwortung für mich und andere zu übernehmen, und ich werde es beweisen!

-- Gleichzeitig gab diese trotzige Empfindlichkeit, die mich da so plötzlich überkam, mir aber auch zu denken. Denn es liegt ja auf der Hand, dass es mit Eigenschaften oder Fähigkeiten, die man sich selbst und anderen beweisen zu müssen glaubt, meist nicht zum Besten steht.

Ich beschloss also, die mir von Kati verordnete Bedenkzeit gut zu nutzen, und suchte erst einmal – wie ich es oft tue – Rat in einem Buch. In diesem Fall handelte es sich um das Tagebuch eines frommen Chaoten von Adrian Plass (deutsch von Andreas Ebert, 6. Aufl. Moers 1993). Der Erzähler, der – wohl um dem Buch den Anschein von Authentizität zu geben – denselben Namen wie der Autor trägt, ist Mitglied einer nicht näher spezifizierten evangelikalen Freikirche und schildert in hinreißend komischem Stil seine Bemühungen, ein guter Christ zu sein und gleichzeitig die alltäglichen Herausforderungen des modernen Lebens zu meistern. Und wie ich mich von früherer Lektüre her erinnere, enthält dieses Buch eine Episode, die mit der mir blühenden Situation bemerkenswerte Ähnlichkeit hat:

Frau und Sohn des Erzählers verreisen für ein paar Tage, um Bekannte zu besuchen; der Erzähler selbst kann nicht mit, da er arbeiten muss. Zum Abschied schärft seine Frau ihm ein:

"Was du auch sonst machst – vergiß nicht, das Kaninchen zu füttern, und wenn du vielleicht einen Blick auf die Waschmaschine werfen könntest – das wird immer schlimmer. Hauptsache ist aber das Kaninchen. Du wirst Brenda nicht vergessen, ja?"

Indigniert kommentiert der Erzähler:

"Wirklich – als wäre ich ein Vollidiot! Ich mag mich ja sonst nicht viel um Brenda, unsere Kaninchendame, kümmern (gewöhnlich füttert Anne sie), aber ich werde kaum vergessen, ihr was zu fressen zu geben." (S. 135)

Aber es kommt, wie es kommen muss: Der Tagebucheintrag vom nächsten Tag beginnt mit den Worten "Habe gestern glatt vergessen, das Kaninchen zu füttern" (ebd.). Infolgedessen ist Brenda über Nacht aus dem Stall ausgebüxt und in den Garten der Nachbarin, Miss Seed, geflüchtet, wo sie sich an deren kostbaren Pflanzen gütlich getan hat. Es folgen zerknirschte Entschuldigungen an die Adresse der Nachbarin und von Tag zu Tag intensivierte Bemühungen, den Kaninchenstall ausbruchssicher zu machen; aber Brenda, die wie "ihr eigenes Ein-Karnickel-Flucht-Komitee" (S. 137) hinter dem Maschendraht brütet, gelingt wieder und wieder die Flucht, "in welchem Super-Kaninchen-Kostüm auch immer, das sie sich überwirft, wenn keiner guckt" (S. 138). Wieder und wieder muss der Erzähler zunehmend groteske Anstrengungen unternehmen, Brenda wieder einzufangen:

"Kroch unter der Hecke am Ende unseres Gartens entlang, klapperte mit dem Futter im Freßnapf und zischte: 'Komm zurück, Brenda! Ich habe Herrschaft über dich!'
Brenda muß die betreffende Bibelstelle unbekannt sein." (S. 136)

Obendrein muss der geplagte Erzähler auch immer wieder die Nachbarin besänftigen, die über die regelmäßigen Fressattacken auf ihren mit großem Stolz gepflegten Garten begreiflicherweise wenig erbaut ist.

" 'Ich nagle den Stall an die Mauer', versprach ich wildentschlossen.
'Weshalb nageln Sie nicht lieber das Kaninchen an die Mauer?', schlug Miss Seed sauertöpfisch vor."(S. 138)

Nun ja: "Das Ganze schließt freudig", wie Carl Maria von Weber einst seiner Verlobten über die Handlung seiner Oper Der Freischütz mitzuteilen wusste. Der Kaninchenstall wird endlich ausbruchssicher gemacht, man freundet sich mit der Nachbarin an, und auch als der heimgekehrte Teenager-Sohn des Erzählers sich den Scherz erlaubt, zu behaupten, er habe Brenda "auf 'ne kleine Hoppelrunde raus gelassen", (S. 139), kann der Vater gerade noch davon abgehalten werden, seinem Filius den Hals umzudrehen.

Dennoch: Bedenken blieben, nachdem ich dies gelesen hatte. Ich fragte mich: Was, wenn den Kaninchen etwas zustößt, ausgerechnet während ich die Verantwortung für sie habe? Gerade Flocke, die schon so alt und gebrechlich ist? Wenn irgendetwas Schlimmes passiert – werde ich mir das jemals verzeihen? -- Wird Kati mir das jemals verzeihen? -- Mitten in solche Überlegungen hinein erhielt ich eine elektronische Nachricht von Kati. Beruhigend teilte sie mir mit, so furchtbar viel Arbeit würde ich mit den lieben Tierchen gar nicht haben: Es genüge, ihnen einmal am Tag Futter zu geben, sie jeden Tag ein Weilchen in der Wohnung herumhoppeln zu lassen – unter Aufsicht, damit sie keine Kabel anknabbern oder sonstigen Unfug anstellen – und alle paar Tage mal den Laufstall auszumisten. Obendrein bräuchte ich mich auch nur zwei statt wie ursprünglich geplant vier Wochen um die Kaninchen zu kümmern, da sich danach eine Freundin, quasi zur Zwischenmiete, in der Wohnung einquartieren und somit auch das 'Kaninchensitting' übernehmen werde. Ich schlief noch eine Nacht über die Angelegenheit, dann sagte ich zu.

Und nun sitze ich in Katis Küche und blogge, während sie auf dem Weg nach Frankreich ist; schaue aber alle paar Minuten mal rüber zu den Kaninchen -- habe den Käfig vor einer guten Stunde aufgemacht, damit sie ein bisschen Auslauf bekommen, aber so richtig trauen sie sich nicht raus. Haben womöglich Angst vor mir. Großer, fremder, Furcht erregender Mann in der Wohnung, da ist man als Kaninchen lieber vorsichtig. Na ja -- in einer halben Stunde kriegen sie frische Möhren und aus dem Abfall bei Lidl geklaubte Kohlrabiblätter. Dann avanciere ich in den Augen der Kaninchen hoffentlich zum Großen, fremden Mann, der uns füttert.

Ich glaube, es gefällt mir, Verantwortung für kleine Mitgeschöpfe zu übernehmen. Ob es ihnen auch gefällt, wird sich noch zeigen müssen, aber ich denke, wir werden uns schon miteinander arrangieren. Und für einen Anfänger wie mich sind zwei alles in allem doch eher behäbige Zwergkaninchen sicherlich leichter zu handhaben als ein junger Hund -- oder gar ein Kind...

(Fortsetzung folgt!)

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