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Donnerstag, 6. September 2012

Nichts Neues unter der ökumenischen Sonne

Als ich noch in die Herz-Jesu-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg ging, saß in der Heiligen Messe mehrmals Wolfgang Thierse hinter mir. Das bemerkte ich erstmals, als ich einmal dachte "Wer singt denn da hinter mir so schaurig?", mich verstohlen umdrehte und feststellte: Schluck! Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse! Nun ja: Singe, wem Gesang gegeben;  mangelnde Melodiefestigkeit ist nun wirklich nichts, was man einem Menschen zum Vorwurf machen kann oder sollte. -- Dass Thierse just diese Kirche mit seinem sonntäglichen Besuch beehrte, mag ganz einfach dadurch bedingt gewesen sein, dass er in ihrem Einzugsbereich wohnt oder wohnte - das weiß ich nicht, aber jedenfalls liegt sie in seinem Wahlkreis. Vielleicht hatte es aber auch noch andere Gründe: Die Pfarrei Herz Jesu, zu der auch die Kirche St. Adalbert in der Torstraße gehört, beherbergt das von der Gemeinschaft Chemin Neuf betriebene Ökumenische Zentrum Net for God, das neben anderen Aktivitäten zur Förderung der Einheit der Christen auch allwöchentlich ein Morgenlob ausrichtet, in dessen Rahmen bevorzugt für die Überwindung der Kirchenspaltung gebetet wird. -- Dass die Ökumene Herrn Thierse ein wichtiges Anliegen ist, ist allbekannt; und dass er für die Einheit der Christenheit noch mehr tun möchte als beten, ist vom Ansatz her sicher löblich. Nun aber hat ihn die Ungeduld gepackt: Mit 22 anderen Prominenten aus Politik, Medien und "Gesellschaft" (oder was immer so genannt wird) gehört er zu den Protagonisten der Initiative Ökumene Jetzt!, die am gestrigen Mittwoch einen Aufruf zur Auflösung des gesamten römisch-imperialistischen Staatsapparats innerhalb von 24 Stunden... äh nein: zur sofortigen Überwindung der Kirchenspaltung, mindestens in Deutschland, veröffentlicht hat. Da dieser Aufruf schon einige Zeit im Voraus angekündigt worden war, kursierten allerlei Spekulationen darüber, was in dem Papier wohl konkret drinstehen mochte, und die katholische Blogoezese stand schon seit Tagen in den Startlöchern, um möglichst umgehend angemessen auf den Aufruf zu reagieren, wenn er denn vorläge. Da mochte ich auch nicht zurückstehen und führte mir das Schreiben zum (für mich) frühestmöglichen Zeitpunkt zu Gemüte - aber dann fand ich den Text derart lahm und nichtssagend, dass mir rein gar nichts dazu einfiel.

Der Blogoezese insgesamt fiel hingegen eine ganze Menge dazu ein (hier eine Übersicht); die Lektüre einiger (längst nicht aller) dieser Beiträge trug zwar dazu bei, meine Meinung zu den Thesen von Thierse & Co. zu schärfen, zugleich aber auch dazu, dass ich dachte, na, wenn es schon so viele andere tun, muss ich vielleicht nicht zu dem Thema bloggen. Ich beschränkte mich daher auf ein paar Kurz-Statements auf Twitter, aber es zeigte sich bald, dass ich so billig nicht davonkommen würde. Nachdem ich nämlich den Beitrag von Vincentius Lerinensis  - der in meinen Augen sehr präzise auf den Punkt bringt, warum die Thesen des Ökumene Jetzt!-Aufrufs aus katholischer Sicht schon vom Ansatz her unannehmbar sind - auf Twitter verlinkt hatte, erhielt ich von einem evangelischen Pfarrer den Bescheid: "Sorry, aber wer nicht in der Lage ist zwischen katholisch und römisch zu unterscheiden, sollte einfach den Mund halten." Das mochte ich so nicht stehen lassen, und prompt war ich mittendrin in einer heißen Debatte, in die sich zunächst ein katholischer Krankenpfleger einschaltete - der sich zwar als "alternder Punkrocker" beschreibt und obendrein Mitglied der Piratenpartei ist, aber (kann man sagen "dennoch", oder verrät das unangemessene Vorurteile?) in seinen Twitter-Beiträgen nicht selten seine Treue zur Katholischen Kirche betont -, und dann ein Student der katholischen Theologie, der, formulieren wir mal vorsichtig, ein etwas anderes Verständnis von katholischer Glaubens- und Überzeugungstreue hat. Es wurde spät, und schließlich diskutierte ich zu meinem Leidwesen nur noch mit Letzterem, der (wenn ich ihn denn richtig verstanden habe) argumentierte, die katholische Ekklesiologie sei ein unhaltbares Konstrukt und dürfe daher kein Hindernis für die Ökumene sein. Oder so ähnlich. Unter Berufung auf sein Fachwissen als Kirchenhistoriker gab er mir mehr oder weniger durch die Blume zu verstehen, ich könne da gar nicht mitreden, und obendrein warf er mir vor, "Dritten fehlende Rechtgläubigkeit zu unterstellen", was er "anmaßend und blasphemisch" finde. Vergrätzt brachen wir die Debatte schließlich ab, feuerten noch je ein Schlussstatement in den digitalen Äther ab (er: "Es gibt kein besseres Mittel für Verwirrung und Abneigung zu sorgen, als mit Fakten um sich zu schmeißen"; ich: "Es bereitet mir einfach Schmerzen, wenn Katholiken sich permanent öffentlich gegen ihre eigene Kirche positionieren"), und vermutlich hielt er mich am Ende für genauso arrogant und verbohrt wie ich ihn.

Jedenfalls hatte ich nach dieser Debatte so richtig schlechte Laune.

Vor dem Zubettgehen griff ich noch zu dem vor Kurzem erworbenen Interview-Buch Gott und die Welt (Joseph Ratzinger im Gespräch mit Peter Seewald; Taschenbuchausgabe München 2008); und ohne dass ich es geplant oder auch nur geahnt hätte, stieß ich alsbald auf das Unterkapitel "Einheit der Christen" (S. 431-434). Ich war ausgesprochen frappiert, festzustellen, dass auf diesen wenigen Seiten bereits alles zu finden ist, was auf den Ökumene Jetzt!-Aufruf zu erwidern wäre. Ich zitiere einen kurzen Auszug:

"Nein, [...] die Einheit der Christen kann nicht durch irgendeinen politischen Coup hergestellt werden oder durch ein Schwert, das einen gordischen Knoten durchhaut. Es geht um lebendige Prozesse. Und es kann weder ein Papst noch ein Weltkirchenrat einfach sagen, liebe Freunde, jetzt machen wir's so! Der Glaube ist etwas, was in jedem lebendig und zutiefst verwurzelt und vor Gott verantwortet ist."

Mehr habe ich zum Thema Ökumene Jetzt! nicht zu sagen.

10 Kommentare:

  1. *grins* Der punkrockende Piraten-Krankenpfleger hat schon katholisch gebloggt - wahrscheinlich als allererster auf deutsch -, als von Hühnern und Eiern in der Blogoezese noch keine Rede sein konnte (eigentlich nicht mal von der Blogoezese) ... *nurmalsoanmerk*

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    1. Danke für die freundliche Mitteilung ;) Ich bin ja quasi gerade erst "aus dem Ei geschlüpft" und kenne mich noch nicht so rundherum aus. Den Herrn Leibowitz kenne ich nur über Twitter, aber ich finde ihn (bzw. was er schreibt) klasse; wollte durchaus keinen gegenteiligen Eindruck erwecken!

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    2. Und ich hoffe, ich kam nicht belehrend rüber, ich fand das nur irgendwie lustig ... er hatte damals das fonolog, so Anno 2005 / 2006 zählte das zur Crème der katholischen Blogs (wovon es vielleicht acht oder zehn lesenswerte gab, wenn's hochkam). Aber so sechs, sieben Jahre, das ist im Netz ne halbe Ewigkeit, da kommen und gehen zwei Bloggergenerationen. Und die "Enkel" wissen nichts mehr von den "Großvätern" (und -müttern. Da muß ich ausnahmsweise mal gendern.)

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  2. Immerhin kommt der evangelische Pfarrer in deiner Blogliste vor ;-)

    knuuut

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    1. Nicht nur das, ich folge diesem Erzketzer sogar auf Twitter! ;)

      Aber Scherz beiseite: Bei Themen, die an die Substanz des eigenen Glaubens gehen, kann es schon mal krachen, aber das sollte die persönliche Wertschätzung nicht nachhaltig beschädigen, denke/hoffe ich...

      Und in einem ist dem Ökumene-Jetzt-Aufruf ja nicht zu widersprechen, nämlich darin, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den christlichen Konfessionen letztlich größer sind als die Unterschiede. Dass die Unterschiede dennoch nicht einfach ausgeblendet werden können, hat unsere gestrige Debatte wohl ganz gut illustriert ;)

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  3. Vielen Dank für die Blumen, Andrea. Ich muss aber dazu sagen, dass wir seinerzeit (2002 oder so) drei Blogger waren, die gleichzeitig die ersten katholischen Blogs im deutschsprachigen Raum hatten.

    Frank/Leibowitz/(fono)

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    1. Ok, soooo früh war ich dann wieder nicht dabei. ;-)
      Daß Du der erste gewesen wärst, hat mir aber irgendwer erzählt ... So entstehen Legenden!

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  4. Der selige Scipio von http://intelligam.blogspot.de/ war dabei, den dritten im Bunde habe ich leider vergessen. Ich wusste am Anfang gar nicht, dass man das was ich mache bloggen nennt. Die Blogs haben wir unabhängig voneinander eröffnet, später kamen dann die ersten anderen dazu. War eine spannende Zeit :)

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  5. Ich glaube Ralf von pax und bonum war der dritte. Und auch martin vom commentarium ist ein blogoezesaner Altsack.

    So um 2005/06 kam dann - um im Bild zu bleiben - wir von der Elterngeneration - Alipius, Phil/FingO, Petra (s.a.), moi u.v.a.m.

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  6. Ehre wem Ehre gebührt - ich war eigentlich der vierte, ab Juli 2003, gehöre aber wohl noch zur Opageneration der Blogger. Anfangs war ich noch bei dem längst verschwundenen 20six mit einem gräßlichen Layout. Nein, der dritte war der auch schon selige Erich von "Veni, Domine Iesum", der erste katholische Blogger aus Österreich.

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