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Dienstag, 21. April 2015

Und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen

Es ist vielleicht gar kein so origineller Gedanke, aber die Evangelientexte der Karwoche und dann die Lesungen aus der Apostelgeschichte in der Osteroktav haben mich veranlasst, darüber zu sinnieren, dass die Geschichte des Christentums aus nicht-gläubiger Sicht doch eigentlich ziemlich unbegreiflich erscheinen muss. Wie kann es sein, dass aus einer kleinen Gruppe von Juden, die in einem gewissen Jesus aus Nazaret den von ihrem Volk sehnsüchtig erwarteten Messias erkannt zu haben glaubten, die größte Religionsgemeinschaft der Welt werden konnte, der heute, fast 2000 Jahre nach ihrer Entstehung, über zwei Milliarden Menschen auf der ganzen Welt angehören?

Es ist kennzeichnend für den christlichen Glauben, dass er nicht in erster Linie ein weltanschauliches System oder ein ethisches Programm ist, sondern zuallererst der Glaube an eine konkrete Person: Jesus Christus. Weitergabe des Glaubens bedeutete daher für die ersten Christen nicht zuletzt Weitergabe der Erinnerung an das Leben und Wirken Jesu. Über die genaue Entstehungszeit der Schriften des Neuen Testaments gibt es in der Forschung zwar z.T. recht unterschiedliche Einschätzungen, aber man kann wohl mit einiger Gewissheit davon ausgehen, dass ein bedeutender Teil dieser Texte bereits innerhalb von 20 bis 40 Jahren nach dem Tod Jesu entstanden ist. Das bedeutet - man halte sich fest! -, dass es nur wenige Persönlichkeiten der Antike gibt, über deren Leben und Wirken wir so umfangreiche und so zeitnahe Quellen besitzen, wie es ausgerechnet bei diesem Jesus aus Nazaret der Fall ist.

Als Argument gegen die historische Glaubwürdigkeit der neutestamentarischen Texte wird immer wieder gern angeführt, sie enthielten schließlich Glaubensaussagen. Das ist einerseits zweifellos richtig, aber andererseits erheben die Evangelien und die Apostelgeschichte auch immer wieder sehr betont den Anspruch auf faktische Wahrheit des Geschilderten; es werden Augenzeugen benannt, Orts- und Zeitangaben sind z.T. so präzise, dass sie zumindest für Zeitgenossen unschwer überprüfbar gewesen sein müssten.

Den Versuch, Glaubensaussagen und historische Tatsachenberichte in den Texten des Neuen Testaments auseinanderzudröseln und so hinter dem "Christus des Glaubens" einen "historischen Jesus" sichtbar zu machen, hat zwar schon Albert Schweitzer in seiner Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1906) für gescheitert erklärt, aber natürlich wird dieser Versuch trotzdem immer wieder gern unternommen. Was also bleibt, abzüglich aller offenkundigen Glaubensaussagen, übrig von diesem Jesus aus Nazaret?
-- Ein Zimmermann aus Galiläa, der in einer notorischen Unruheprovinz am Rande des Römischen Imperiums ein paar Jahre lang als Wanderprediger mit messianischem Anspruch umherzog und schließlich als Verbrecher hingerichtet wurde. Mit seinem Tod am Kreuz hätte die Geschichte des Christentums eigentlich schon wieder vorbei sein können. Tatsächlich ging sie damit aber erst an.

Warum?
Weil sich unter den Anhängern Jesu - die seinen Tod zunächst zweifellos als Scheitern ihrer Hoffnungen betrachteten und auch um ihr eigenes Leben fürchteten - die Überzeugung durchsetzte, Jesus sei auferstanden und habe damit den Tod besiegt. Somit erschien die Kreuzigung nicht mehr als Niederlage, sondern vielmehr als Erfüllung der Prophezeiungen Jesajas vom leidenden Gottesknecht, der durch sein Leiden und seinen Tod das Volk erlöst. Und diesen Glauben begannen die Jünger furchtlos zu verkünden, nicht nur unter den Juden, sondern auch unter anderen Völkern. Sie setzten sich dabei massiven Anfeindungen aus, wurden ins Gefängnis geworfen und/oder getötet, aber trotz aller Widerstände verbreitete sich der Glaube an Jesus Christus innerhalb weniger Jahrzehnte über weite Teile des Römischen Reiches - und darüber hinaus, nach Armenien, nach Persien, ja bis nach Indien.

Im Römischen Reich konnten die christlichen Gemeinden schon bald nur noch aus der Illegalität heraus agieren. Zwar waren die Römer im Allgemeinen sehr tolerant gegenüber fremden Religionen - aber nur unter der Bedingung, dass deren Anhänger ihrerseits auch die römische Staatsreligion akzeptierten und sich am staatlichen Kultus beteiligten. Da Christen dies verweigerten, wurde das bloße Bekenntnis zum christlichen Glauben schon um die Wende zum 2. Jh. zu einem Staatsverbrechen erklärt, auf das die Todesstrafe stand. Namentlich unter den Kaisern Decius (249-251), Valerian (253-260) und Diokletian (303-311) kam es zu massiven und systematischen staatlichen Christenverfolgungen, in deren Zuge zahllose Bekenner des christlichen Glaubens grausam gefoltert und hingerichtet wurden. Schon um das Jahr 200 schrieb der Apologet Tertullian:
"Wenn der Tiber bis in die Stadtmauern steigt, wenn der Nil nicht bis über die Feldfluren steigt, wenn die Witterung nicht umschlagen will, wenn die Erde bebt, wenn es eine Hungersnot, wenn es eine Seuche gibt, sogleich wird das Geschrei gehört: Die Christen vor die Löwen!"
Derselbe Tertullian prägte aber auch den Satz "Sanguis martyrum est semen christianorum" - "Das Blut der Märtyrer ist der Samen der Christen". Tatsächlich gelang es den Kaisern nämlich mit aller Gewalt nicht, die Ausbreitung des Christentums in ihrem Reich aufzuhalten; im Gegenteil, das Zeugnis von Menschen, die lieber ihr Leben ließen, als ihren Glauben zu verleugnen, machte die junge Kirche letztlich nur stärker. So stark, dass sich schließlich Kaiser Konstantin und seine Söhne und Nachfolger selbst dieser noch kurz zuvor mit aller Gewalt unterdrückten Religion zuwandten. Im Jahr 313 wurde das Christentum im Römischen Reich durch die Mailänder Vereinbarung, die allgemeine Religionsfreiheit versprach, legalisiert; 380 erhob Kaiser Theodosius I. es gar zur Staatsreligion.

Halten wir das einmal fest: Innerhalb von rund 300 Jahren massiver Unterdrückung und Verfolgung war eine der diversen konkurrierenden Glaubensrichtungen des Judentums zur führenden Religion einen Weltreichs aufgestiegen. Alles nur, weil das kleine Häuflein der Anhänger eines schmählich hingerichteten Wanderpredigers sich eingebildet oder eingeredet hatte, ihr Herr und Meister sei auferstanden? Ich kann mir nicht helfen: Die Annahme, die - wenn man so will - "Erfolgsgeschichte" des Christentums in diesen ersten drei Jahrhunderten seines Bestehens basiere auf Irrtum oder Lüge, übersteigt mein Vorstellungsvermögen. Nicht von ungefähr erinnert in der Apostelgeschichte (5,34-39) der weise Gamaliel den Hohen Rat an andere messianische Bewegungen im Judentum, die nach dem Tod ihres jeweiligen Anführers zusammengebrochen waren, und erklärt mit Blick auf die Anhänger Jesu:
"Wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten". 
Sicherlich kann man sagen, ab dem Zeitpunkt, an dem das Christentum im Römischen Reich Staatsreligion wurde, sei die weitere Ausbreitung des Christentums in Europa, Nordafrika und Vorderasien weit weniger erstaunlich als alles Vorangegangene. Dabei sollte man aber nicht übersehen, dass mit dem Wegfall staatlicher Repressionen auch neue Gefährdungen für die Kirche entstanden - etwa die Gefahr politischer Einflussnahme durch die Kaiser. Zudem musste sich der christliche Glaube gegen Häresien und Synkretismen wie den Arianismus und den Manichäismus behaupten. Und dann kam auch schon die Völkerwanderung und ließ das Römische Reich zusammenbrechen. Aber anders als frühere Staatsreligionen früherer Imperien überlebte das Christentum diesen Zusammenbruch, ja, es verbreitete sich nun sogar auch unter den Völkern, die in das Römische Reich einfielen.

Auch in späterer Zeit fehlte es in verschiedensten Teilen der Welt nicht an Versuchen, das Christentum zu unterdrücken, zurückzudrängen oder seine Ausübung zu unterbinden. Es ist auf lange Sicht niemandem gelungen, nicht den Jakobinern der Französischen Revolution, nicht den Nazis und auch nicht den Kommunisten. Von Napoléon Bonaparte ist die Anekdote überliefert, dass er im Jahre 1801, damals noch Erster Konsul der Französischen Republik, bei den Verhandlungen über ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl den Kardinalstaatssekretär Consalvi fragte: "Ist Ihnen klar, Eminenz, dass ich Ihre Kirche jederzeit zerstören kann?" Kardinal Consalvi antwortete trocken: "Das haben nicht einmal wir geschafft."

Und heute? Heute bekennt sich ungefähr ein Drittel der Weltbevölkerung zum Christentum; gleichzeitig werden Christen, global gesehen, stärker verfolgt als je zuvor. Durchschnittlich wird weltweit alle fünf Minuten ein Christ wegen seines Glaubens getötet. In den vom "Islamischen Staat" terrorisierten Gebieten des Irak, Syriens und Libyens, im Norden Nigerias, im Süden Somalias und angrenzenden Gebieten hat die Gewalt gegen Christen längst apokalyptische Ausmaße angenommen. Und trotzdem bleiben die davon betroffenen Christen in ihrem Glauben standhaft. Auch das muss aus nichtgläubiger Perspektive befremdlich erscheinen: Wie kann es sein, dass Menschen, die so viel Leid erdulden müssen, nicht an ihrem Glauben (ver)zweifeln? -- Christen jedoch wissen, dass dieses Leid ihnen vorausgesagt wurde. dass es so zu sagen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen steht, die sie unterschrieben haben. In der Bergpredigt, wohl einem der bekanntesten Abschnitte des Neuen Testaments, heißt es:
"Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt." (Matthäus 5,11f.) 
Und an anderer Stelle sagt Jesus Christus:
"Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt." (Johannes 15,18f.) 
Schwach und kränklich wirkt die Kirche vielmehr dort, wo sie nicht verfolgt wird. Wo sie es sich in der Welt bequem eingerichtet hat und es vermeidet, anzuecken. Da verliert sie jährlich Hunderttausende Mitglieder, da verliert sie an Ansehen und Einfluss oder, wie es im Pastoral-Neusprech heißt, an "gesellschaftlicher Relevanz", da wird sie womöglich nur deshalb nur vergleichsweise wenig angefeindet, weil sie als Gegnerin nicht ernst genommen wird. Eingefleischte Atheisten und Anhänger eines "evolutionären Humanismus" warten daher schon lange darauf, dass das Christentum, wenn schon nicht weltweit, so doch zumindest hierzulande in absehbarer Zeit sang- und klanglos verschwindet. Spätestens in 30 Jahren soll es soweit sein, wobei ich glaube, dass man das vor 30 Jahren auch schon gesagt hat. Solche Prognosen sind einerseits nur allzu leicht als Wunschdenken durchschaubar, andererseits kranken sie daran, dass ihnen das Verständnis für die enorme, im wahrsten Sinne des Wortes übermenschliche Kraft fehlt, die aus dem Glauben an Jesus Christus fließt. Und wie die Geschichte lehrt, macht sich diese Kraft immer besonders dann  geltend, wenn es nach weltlichen Maßstäben ausgesprochen schlecht um das Christentum steht. Die Gemeinschaft der Gläubigen mag - hierzulande und an anderen Orten - kleiner werden, ärmer und gesellschaftlich isolierter; aber untergehen wird sie nicht. Das lehrt, wie oben ausgeführt, schon die historische Erfahrung; aber mehr noch als auf alles menschliche Wissen können Christen auf die Zusage Jesu Christi an Petrus bauen, die ich hier ausnahmsweise einmal in der kernigen Sprache Martin Luthers zitieren möchte:
"Du bist Petrus, und auf diesem Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen." (Matthäus 16,18) 

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