Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Sonntag, 4. Oktober 2015

Mal so zwischendurch: Ein lustiger Artikel über Mayonnaise

Nur weil wir so hartherzig sind, findet in Rom ab heute die Bischofssynode für wiederverheiratete Geschie zur Familienpastoral statt. Und ehrlich gesagt habe ich im Moment so gar keine Lust, darüber zu schreiben. Da schreibe ich doch lieber was über Mayonnaise. Das ist schließlich auch ein familienrelevantes Thema. 

Um zu erklären, wie ich ausgerechnet auf Mayonnaise komme, muss ich - so kennen mich meine Leser - erst mal ein bisschen ausholen. Dank meiner Aktivitäten auf Twitter bin ich vor einiger Zeit auf das US-amerikanische Online-Magazin The Federalist aufmerksam geworden, das sich selbst als Korrektiv zu den Mainstream-Medien der USA betrachtet, dabei aber im Ruf steht, selbst für US-Verhältnisse erzkonservativ zu sein. Der Name ist hier offenbar Programm, denn wenngleich das Magazin erst seit 2013 besteht, spielt sein Name offenbar auf die alte Federalist Party und/oder die Federalist Papers an und stellt somit einen Traditionsbezug zum konservativ-zentralistischen Flügel der Gründerväter der USA her. Aber unabhängig davon, wie man zur politischen Ausrichtung des Magazins steht, kann man jedenfalls konstatieren, dass der Federalist gute Autoren hat. An erster Stelle möchte ich hier Mollie Hemingway nennen, die sich besonders um die journalistische Aufarbeitung des Planned Parenthood-Organhandel-Skandals verdient gemacht hat (und weiterhin macht). Auch Hans Fiene, Pastor der River of Life Lutheran Church in Channahon/Illinois und Schöpfer der unlängst auf diesem Blog gewürdigten Lutheran Satire-Cartoons, schreibt gelegentlich für den Federalist

Kürzlich sah ich nun auf Twitter dies


Man beachte: Ben Domonech ist der Herausgeber des Federalist. Wenn der einen Artikel seines eigenen Magazins mit dem Hinweis "empfiehlt", er sei "scheußlich" und "niemand sollte ihm zustimmen", dann muss ich den natürlich lesen. Schon allein um der uralten Menschheitsfrage auf den Grund zu gehen, ob US-Amerikaner - noch dazu konservative US-Amerikaner - einen Sinn für Ironie haben oder nicht. 

Der verlinkte Artikel, verfasst von einem pompösen Texaner mit dem pompösen texanischen Namen William Kelly III., trägt die Überschrift "Mayonnaise Is The Worst Condiment": "Mayonnaise ist das schlimmste Würzmittel". In der Unterzeile setzt Kelly noch einen drauf: "Mayonnaise ist so schlimm, dass sie es nicht verdient, ein Würzmittel genannt zu werden". -- Nun ja: Ich persönlich mag eigentlich Mayonnaise. Aber schließlich ist das Bloggen ja nicht dazu da, "dass sich Szenen untereinander treffen, sich gegenseitig bestätigen und hochjubeln", sondern dazu, "in einen Diskurs ein[zu]treten mit Andersdenkenden"; und daher greife ich gern die Anregung meines selbsternannten Managers W. auf, Kellys Anti-Mayonnaise-Rant auf meinem Blog zu thematisieren. Zumal ich den Text, obwohl er nicht meine eigene Meinung widerspiegelt, ausgesprochen grandios finde. 

Dass ich Mayonnaise mag, ist übrigens nicht zwangsläufig ein Ritterschlag für diese weiße Paste. Ich mag auch sonst allerlei komisches Zeug. Vermutlich liegt das daran, dass ich auf dem Dorf und in einem in Ernährungsfragen recht konservativen Elternhaus aufgewachsen bin. Seither habe ich einen schwer zu besiegenden Hang zu Speisen und Getränken, die es "bei uns zu Hause" nicht oder selten gab. Und je abwegiger, desto besser. Wenn ich eine neue Limo mit irrwitziger Geschmacksrichtung (Birne-Melisse, Kirsche-Ginseng) - und womöglich noch in einer knalligen Farbe - im Supermarktregal entdecke, dann muss ich die probieren. Freunde und vor allem Freundinnen reagieren besorgt, wenn sie das enthusiastische Funkeln in meinen Augen registrieren, das mich angesichts von Werbung für so bizarre Produkte wie Wackelpudding mit Brausepulver drin überkommt. Verglichen damit ist Mayonnaise ja noch harmlos. Kommen wir aber zunächst mal zu der Frage: Was hat William Kelly III. eigentlich gegen Mayonniase? 
"Wie jeder Amerikaner, und insbesondere Texaner, weiß, ist Mayonnaise ein Instrument der Unterdrückung, das von Kommunisten und Liebhabern faden Essens überall auf der Welt verwendet wird. Sie ist eine Form der Gedankenkontrolle, die dazu dient, einem ein Gefühl der Selbstgenügsamkeit und Zufriedenheit mit der Welt einzuimpfen. Essen hat Geschmack, und Mayo überdeckt diesen Geschmack. Sie zerstört die Fähigkeit zu schmecken." 
Okay, also das mit den Kommunisten und der Gedankenkontrolle ist jetzt aber doch ganz bestimmt Satire. Oder etwa doch nicht? Dass Kelly Kommunismus  in einem Atemzug mit fadem Essen erwähnt, ist gar so abwegig schließlich nicht. Im Jahr 1990, als der Ostblock gerade am Zusammenbrechen war, schrieb kein Geringerer als Max Goldt: "Jeder, der einigermaßen herumgekommen ist, weiß, dass in atheistischen Staaten ausgesprochen schlecht gekocht wird, weil der Respekt vor den Gaben Gottes fehlt." [1] Das deckt sich durchaus mit meinen Erfahrungen mit DDR-Gastronomie - oder solcher Gastronomie, der auch heute noch, 25 Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, ein gewisses DDR-Flair anhaftet. 

Im Folgenden erklärt Kelly, wenn man "die Internets" lese - "alle Internets, nicht nur das von AOL" -, dann könne man unschwer herausfinden, woher Mayonnaise stammt: aus Frankreich. Nun ist Frankreich zwar kein kommunistischer und im strengen Sinne auch kein atheistischer, wohl aber ein laizistischer Staat - worauf Kelly zwar nicht eigens eingeht, aber dem konservativen, patriotischen US-Amerikaner ist Frankreich ja auch noch aus anderen Gründen suspekt. Wir erinnern uns wohl alle noch daran, wie in den USA in Folge der Opposition Frankreichs gegen George W. Bushs Irak-Krieg die french fries in "Freedom Fries" umbenannt wurden. Ob es die dann auch ausschließlich mit Ketchup statt mit Mayo gab, davon schweigt des Sängers Höflichkeit. - Kelly untermauert seine Überzeugung, aus Frankreich könne nichts Gutes kommen, mit den folgenden Feststellungen: 
"Franzosen essen Schnecken. Sie haben die Kapitulation perfektioniert. Und sie sprechen Französisch. Außerdem sind sie gut im Lügen." 
Zum Beispiel - so führt Kelly weiter aus - über die Zutaten von Mayonnaise
"Wenn man weiter in ebenselbigen Internets liest, kann man feststellen, dass die Zutatenliste auffallend knapp ist: Eigelb und Öl, womöglich noch Gewürze. Warum sind diese Franzosen so still hinsichtlich der anderen Zutaten? Was auf der Liste unweigerlich fehlt, sind die Katzeninnereien und die Beschwörungen an Marduk den Sonnengott." 
Ich muss gestehen, dass ich an dieser Stelle zunächst erhebliche Zweifel an Kellys Darstellung hatte - insbesondere an seiner Behauptung, Eigelb und Öl würden sich gar nicht miteinander zu einer homogenen Masse verbinden, wenn man dabei nicht "flarn flarn zarrchligh narsool" murmelt. Außerdem war ich der Meinung, Marduk sei in der babylonischen Mythologie gar nicht der Sonnengott. Ist er aber wohl doch. Dann muss ich wohl annehmen, dass alles Andere auch stimmt. 

Damit nicht genug:
"Wissen Sie, wer noch Mayonnaise mag, außer Franzosen und Sowjets? Hillary Clinton und tollwütige Marder. [2] Ich habe nicht die Absicht, Sowjets oder Marder schlecht zu machen, aber es ist nun einmal wahr. Weshalb irgendein Amerikaner oder Marder sich freiwillig mit Mayonnaise oder Hillary Clinton in Verbindung bringen lässt, entzieht sich meinem Verständnis. Aber es kommt vor." 
Okay: Hier wird es nun ernst. Hillary Clinton ist für den Federalist, wie überhaupt für konservative US-Amerikaner, das personifizierte Böse. Wenn die Mayonnaise mag, dann liegt der Verdacht, dass diese Paste eine teuflische Droge ist, das das Denken korrumpiert und Moral und patriotische Gesinnung schwächt, gar nicht so fern. 
"Doch es gibt Hoffnung. Saucen existieren in unerschöpflicher Zahl, und [...] praktisch alle anderen Würzmittel haben tatsächlich Geschmack. Wie wär's denn mal mit Senf? Oder Zahnpasta! Zahnpasta hat zumindest einen gewissen Geschmack." 
Na, das möchte ich ja mal sehen, wie Mr. William Kelly III. seine freedom fries zum Zwecke der Geschmacksanreicherung in Zahnpasta tunkt. Aber meinetwegen. Als ich klein war, gab es so eine Kinderzahnpasta mit Erdbeergeschmack. Meine Eltern haben mal eine Tube davon zusammen mit anderen West-Produkten in ein Weihnachtspaket für entfernte Verwandte in der DDR gepackt, aber das war kein großer Erfolg: Die Empfängerfamilie teilte uns mit, ihr Jüngster habe die Zahnpasta, statt sich damit die Zähne zu putzen, aufgegessen. Was ein weiterer Beleg dafür ist, wie sehr der real existierende Sozialismus den Geschmackssinn seiner Opfer korrumpiert hat. Deshalb halte ich es auch für allzu optimistisch, wenn Kelly meint, man könne den Leuten doofes Essen abgewöhnen, indem man ihnen etwas Besseres anbietet. Nehmen wir nur mal die Ketwurst - ein typisches DDR-Produkt, das aus dem Versuch entstand, den Hot Dog zu imitieren. Es ist bezeichnend für die Ineffizienz des realsozialistischen Wirtschaftssystems, dass dafür erst einmal ein spezieller Brötchenbohrer entwickelt werden musste, der das Loch für die Würstchen in die Schrippen stanzte. Heute gibt es im ehemaligen Ostteil Berlins echte Hot Dogs an jeder Ecke, aber Ketwurst-Buden gibt es trotzdem immer noch. Vermutlich ein Ostalgie-Phänomen, aber vielleicht liegt es auch daran, dass die Brötchenbohrer sich erst noch amortisieren müssen, ehe die Budenbetreiber bereit sind, sie außer Betrieb zu nehmen. 

-- Kommen wir nun aber zur alles entscheidenden Frage: Ist das jetzt Satire oder nicht? - So überkandidelt, wie die "Argumente" des Mr. William Kelly III. gegen Mayonnaise daherkommen, könnte man die Frage fast für überflüssig halten. Aber Obacht: So simpel ist das nicht. Ich lege besonderen Wert auf diese Feststellung, da mir unlängst im Kommentarbereich meines Blogs unterstellt wurde, ich hätte die Ironie des Lutheran Satire-Clips "St. Patrick's Bad Analogies" nicht verstanden. Ein klarer Angriff auf meine Kompetenz als Literaturwissenschaftler, den ich nicht auf mir sitzen lassen kann. Ich meine, bei Lutheran Satire steht ja nun schon groß und breit "SATIRE" drauf, da ist es ja klar, dass es irgendwo einen verborgenen Hintersinn geben muss. Ich bin lediglich der Meinung, dass dieser gerade nicht da liegt, wo mein Kritiker ihn vermutet, wenn er annimmt, der Cartoon kritisiere in Wirklichkeit einen unflexiblen Dogmatismus, der jede Form der Interpretation von Glaubensaussagen mit übertriebener Akribie auf eventuelle Häresien abklopfe. Dass ich diese Deutung gar nicht erst in Erwägung gezogen habe, mag daran liegen, dass ich auch andere Texte von Pastor Fiene kenne und daher weiß, dass er Dogmen ausgesprochen ernst nimmt und das Aufzeigen von Häresien ein Hauptthema seiner Satireclips ist. 

Ich denke, hier liegt ein Missverständnis vor, zu dessen Aufhellung der Anti-Mayonnaise-Rant von William Kelly III. einige Fingerzeige bieten kann. Wir sind es hierzulande gewohnt, unter Satire das Lächerlichmachen des ideologischen bzw. weltanschaulichen Gegners zu verstehen - dergestalt, dass dessen Standpunkte bis ins Absurde überzeichnet werden. Das ist hier nicht der Fall. Ich gehe davon aus, dass Mr. Kelly wirklich keine Mayonnaise mag - und dass er wirklich ein erzkonservativer amerikanischer Patriot ist. Aber mit der Art, wie er beides in einen abenteuerlich konstruierten Zusammenhang miteinander bringt und dabei sämtliche Klischees über konservative US-Patrioten bedient - den Antikommunismus, die Abneigung gegen Franzosen und gegen Hillary Clinton, die Betonung traditioneller amerikanischer Werte, die sich in ihrer reinsten Form im Texaner manifestieren -, nimmt er sich selbst, und zugleich die politische Ausrichtung des Magazins, für das er schreibt, augenzwinkernd auf die Schippe. Kurz gesagt, wir haben es mit einer Form der Selbstironie zu tun - die man auch als einen spielerischen Umgang mit den überzeichneten Klischeevorstellungen betrachten kann, die Andere von einem haben. Genauso verfährt auch Pastor Fiene, wenn er in seiner Conall & Donall-Reihe zwei tumbe, frühmittelalterliche irische Bauerntölpel als Identifikationsfiguren einsetzt. Und, der eine oder andere Leser wird's schon bemerkt haben: So verfahre ich in meinem Blog durchaus auch ganz gern mal. 

Das wirklich Komplizierte an dieser Form von Selbstironie ist, dass sie sich letztlich doch wieder über den Gegner lustig macht - indem sie dessen verzerrte bzw. vergröberte Wahrnehmung der eigenen Position aufgreift und in nochmals ins Groteske überzeichneter Form zurückprojiziert (etwa so, wie wenn sich in Parodien auf die rassistischen Minstrel Shows des 19. Jhs. Schwarze als Weiße verkleideten, die sich als Schwarze verkleideten). Für manche Rezipienten ist das allerdings eine Drehung zuviel an der Ironieschraube - und führt darum leicht zu Missverständnissen. Besonders bei denen, die einerseits der Gegenseite überhaupt keinen Humor zutrauen, andererseits selbst über alles Mögliche lachen können - nur nicht über sich selber.


**** 
[1] Max Goldt, Bossa Nova im Schatten des Tele-Spargels. In: ders., Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau. Zürich 1993, Taschenbuchausgabe München 2002; S. 68-72, Zitat von S. 72. Erstmals veröffentlicht in Titanic 11/1990.
[2] Im Original: wolverines. Diese Tierart wird im Deutschen gemeinhin als Vielfraß bezeichnet, gehört aber zur Familie der Marder. Ich fand, wenn ich Marder schreibe statt Vielfraß, ist es eindeutiger, dass damit eine Tierart gemeint ist.

4 Kommentare:

  1. Gleich zwei herrliche Artikel über Mayonnaise.
    Das wiederum führt mich zu der von den Eltern ererbten und in Besitz genommenen Weisheit: Gekaufte Mayonnaise ist immer gräßlich. Man muss sie selber machen, dann ist sie hervorragend.
    Und das war jetzt keine Ironie.

    AntwortenLöschen
  2. Was sollen wir nun - wie der Apostel Römer am sechsten schreibt - hierzu sagen?

    1. Beginnen wir mit Marduk. Ja. der olle Stadtgott von Babylon hat es es bis zum Chefgott v.D. gebracht, aber der Sonnengott der Babylonier ist eigentlich Schamasch; Ich erinnere mich sogar dessen Hymnen dereinst aus dem akkadischen übersetzt zu haben. Und schon stehen Götterbild wie Argumentation auf tönernen Füßen!

    2.1. Die Bezeichnung für Mayonaise im Ruhrgebiet ist "(Geschmacksneutralisator)weiß"

    Verbindet man dies nun (2.2.) mit des Autoren Kenntnis der längst verschwundenen Erdbeerzahnpastá (auch mir aus dem letzten Jahrtausend bekannt), so ergibt sich als
    conclusio ad 2am
    nur, daß sich Alter auf auf Geschmack und Argumentation gleichermaßen auswirken.

    3. Zeigt Frau Sperlich deutlich das bürgerlich protestantische Milieu Ihrer Erziehung. Wie jetzt: natürliche Produkte in französischer Mayo? Wir, die wir nahe an Frankreich, und näher (!) an Belgien leben, wissen, daß Ei und Öl (gar Olive?) in der genannten Pommesbeigabe nichts zu suchen haben. Allerdings - dies gebietet die Fairness anzumerken: Auch Katzeninnereien wird man dort nicht finden, da ja ebenfalls ein Naturprodukt!

    Kommen wir (4.) zu den zwei wichtigen Untersuchungsgegenständen.

    4.1. Im nachgewiesenen Geflecht von tönernen Füßen, Senilität und Geschmacksmythen, deren letztere den Bereich der Franko- oder gar Wallonophobie schon mehr als streifen, kann der Nachweiß einer irgendwie gearteten amerikanischen Selbstironie als gescheitert angesehen werden!

    4.2. Dem Verdacht, daß der Schreiber dieses Kommentars gerade Urlaub hat, kann wohl zu recht nicht widersprochen werden.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ad 1) Welche Auswirkungen das Übersetzen der Hymnen wohl auf Dich gehabt hat.....

      Ad 4.2) Schönen Urlaub!

      Löschen
    2. Du wirst lachen: Ich hab die Unterlagen zum Seminar gerade beim Aufräumen in der Hand gehabt!

      Löschen