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Dienstag, 3. November 2015

Verdammte Christenpflicht - oder: 35 Dauerpilger und ein Hund

Eins mal vorweg. Christen glauben, dass Gott den Menschen eine Verantwortung für Seine Schöpfung übertragen hat. Das betont beispielsweise der Katechismus der Katholischen Kirche unter Nr. 373. Es liegt daher auf der Hand, dass der Zustand des Ökosystems der Erde Christen etwas angeht, dass Umweltschutz ihnen ein wichtiges Anliegen sein sollte bzw. sein muss. Zu dem Themenkomplex, der aus christlicher Perspektive gern mit dem Begriff "Bewahrung der Schöpfung" bezeichnet wird, gehört in besonderem Maße auch der Klimaschutz. Papst Franziskus hat sich in seiner Enzyklika Laudato Si' eindringlich zu diesem Thema geäußert; auch schon seinem Vorgänger Benedikt XVI. war dieses Anliegen wichtig, er sprach es u.a. in seiner Enzyklika Caritas in veritate von 2009, in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2010 und beim Neujahrsempfang für das Diplomatische Korps im Vatikan 2010 an. Außerdem förderte er erneuerbare Energien, indem er im Vatikan eine großflächige Solarstromanlage bauen ließ - wofür der Vatikan den "Europäischen Solarpreis" für das Jahr 2008 verliehen bekam. US-Diplomaten nannten Benedikt sogar den "grünen Papst". -- Nachdem ich dies alles festgestellt habe, erscheint es erklärungsbedürftig, dass bzw. warum der derzeit stattfindende Ökumenische Pilgerweg für Klimagerechtigkeit mir so dermaßen gegen den Strich geht, dass ich nun schon zum wiederholten Male darüber herziehen muss. Denn am inhaltlichen Anliegen dieser Aktion kann mein Widerwillen ja nun wohl nicht liegen.

Nun denn. Zu meinem Unbehagen gegenüber der Tatsache, dass der Begriff des Pilgerns auf etwas angewandt wird, was eher - oder zumindest auch - den Charakter einer politischen Demonstration hat, habe ich mich bereits in meinem ersten Beitrag zu diesem Thema ausgelassen, und zu den irritierenden (wenn auch nicht unerwarteten) esoterischen Untertönen der Veranstaltung hier. Was mich veranlasst hat, das leidige Thema noch einmal aufzugreifen, war ein Artikel auf katholisch.de mit dem Titel "Es ist unsere verdammte Christenpflicht" - auf den ich, da ich die Seite katholisch.de ("aus Gründen", wie man auf Twitter sagt) im Allgemeinen eher meide, durch einen Tweet des Regensburger Generalvikars Michael Fuchs aufmerksam wurde. Prälat Fuchs kommentierte die Überschrift des Artikels treffend:
"Liebe Karin, inhaltlich stimme ich dir zu. Aber 'verdammte Christenpflicht' neutralisiert sich gegenseitig." 
Die "liebe Karin", die der Generalvikar von Regensburg hier anspricht, ist Karin Kortmann, ihres Zeichens Vizepräsidentin des "ZdK". Sie ist es, die in dem hier besprochenen katholisch.de-Artikel mit dem Satz zitiert wird: "Es ist unsere verdammte Menschen- und Christenpflicht, dass der Klimaschutz umgesetzt wird". Was Karin Kortmann sonst noch so alles ist oder schon mal war, erfährt man beispielsweise bei Wikipedia: Von 1985 bis 1988 war die "liebe Karin" Leiterin der Fachstelle für Arbeiterjugendliche im Bistum Limburg, von 1988 bis 1991 Diözesanvorsitzende des BDKJ ebendort, von 1990 bis 1997 BDKJ-Bundesvorsitzende. Von 1998 bis 2009 war sie Bundestagsabgeordnete für die SPD, von 2005 bis 2009 parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Im Jahr 2008 war sie gemeinsame Kandidatin von SPD und Grünen für das Amt der Oberbürgermeisterin von Düsseldorf, unterlag jedoch im ersten Wahlgang dem CDU-Kandidaten Dirk Elbers. Kurz, in ihr haben wir eine typische Vertreterin des parteipolitisch infizierten Gremienkatholizismus vor uns. -- Wie dem auch sei: Einer Frau, die über eine so reiche Erfahrung in diversen öffentlichen Ämtern verfügt, sollte man eine hinreichende Gewandtheit im Umgang mit den Medien zutrauen dürfen, dass ihr eine so unglückliche Formulierung wie "verdammte Christenpflicht" nicht einfach unbedacht 'rausrutscht. Und katholisch.de fand die Formulierung ja offenbar gelungen genug, um sie in die Überschrift des Artikels zu übernehmen.

Natürlich könnte man jedweder Kritik an Frau Kortmanns Wortwahl mit dem Hinweis begegnen, es ergebe sich doch unmissverständlich aus dem Kontext, dass das mit der Verdammnis nicht wörtlich gemeint sei; vielmehr sei "verdammt" hier nur als - äh - "Satzverstärkungswort" bzw. als eine Art Elativ zu verstehen. Und schließlich sei "verdammte Pflicht" doch eine ganz gängige Redewendung. -- Ist das so? Fragen wir Onkel Google! Bei einer Suchabfrage zum Stichwort "verdammte Pflicht" beziehen sich die ersten vier Fundstellen (und noch einige weitere) auf die Memoiren des Wehrmachtsoffiziers Alexander Stahlberg über die Jahre 1932-45. Stahlberg gehörte zum Umfeld der Verschwörer vom 20. Juli 1944; wenn er seinen Erinnerungen an die NS-Zeit den Titel Die verdammte Pflicht gab, dann scheint darin eine gewisse Problematisierung des militärischen Pflichtbegriffs anzuklingen. Google-Fundstellen 5,6,8,9 und 11 beziehen sich hingegen auf einen Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei Anne Will. Ihre "verdammte Pflicht", so erklärt die Kanzlerin dort, sei es, angesichts der Flüchtlingskrise auch mit der Türkei zu verhandeln, um die Situation der Flüchtlinge dort zu verbessern. Die knallige Formulierung kam offenbar gut an, ja, man kann wohl sagen, dass dieses Interview der Redewendung "verdammte Pflicht" zu neuer Populrarität verholfen hat. Und nun wollte wohl auch Frau Kortmann gern mal in die Fußstapfen der Kanzlerin treten, wenngleich diese sehr konkret von ihrer persönlichen Pflicht sprach und die "liebe Karin" lediglich von einer irgendwie schwammigen Kollektivpflicht. Aus der folgerichtig auch keine konkreten Handlungsanweisungen folgen: Was soll man denn bitte tun, um dieser Pflicht gerecht zu werden? Nun ja, im Zweifel eben Klimapilgern.

Und natürlich Forderungen stellen. An die politischen Entscheidungsträger. So wie der Trierer Bischof Stephan Ackermann es tut, bei einer so genannten "Fünf vor Zwölf-Andacht":
"Der Vorrang des globalen Gemeinwohls vor nationalen Interessen müsse im öffentlichen Bewusstsein verankert ebenso wie in der Politik auf allen Ebenen durchgesetzt werden. Dafür fordert Ackermann stärkere internationale Institutionen und Mechanismen, die die Umsetzung von Selbstverpflichtungen der Regierungen regelmäßig überprüfen und in der Lage sind, Sanktionen zu verhängen." 
Sehr andächtig kommt mir das nicht vor, muss ich gestehen.

Neben dem Trierer Bischof und der Frau vom "ZdK" kommt im katholisch.de-Artikel aber auch eine "ganz normale" Pilgerin zu Wort:
"Christine Kollak pilgert von Köln nach Bonn mit. Als ehrenamtliche Mitarbeiterin beim katholischen Hilfswerk Misereor sind für sie dessen 'Hungertuchwallfahrten' für soziale Gerechtigkeit seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. 'Da war der Schritt hin zum Klimapilgern nicht weit', sagt die 72-Jährige." 
Soso. Aha. Hungertuchwallfahrten. Musste ich natürlich auch gleich mal etwas drüber nachrecherchieren - und geriet auf eine Forums-Seite, auf der ich Sätze lesen musste wie "Beim Einkehrtag [!] haben wir darüber gesprochen, den eigenen ökologischen Fußabdruck oder CO2-Verbrauch mit Onlinerechnern einzuschätzen", "Vor und nach der Mittagpause ging es in Workshops um verschiedene Themen zur Gesamtheit der Jahrestagung" oder "Einige trauten sich auch Fragen zu stellen und wir beendeten die Runde mit dem Lied 'Jetzt ist die Zeit', das Schwester Sabine sehr flott auf der Gitarre begleitete". Zum Davonlaufen. 

Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass einer der Forumsteilnehmer den Namen des Bischöflichen Hilfswerks MISEREOR beharrlich zu "Mieserer" verballhornt. Ein persönlicher running gag? Oder ist die Autokorrektur schuld? Letzteres erscheint umso glaubwürdiger, als man dieselbe Verballhornung auch andernorts antrifft - so etwa in einem Artikel der Linzer KirchenZeitungImNetz vom 18.08.2015, in dem es unter der Überschrift "Gegen Landraub" heißt:
"Die G7-Staaten wollen mit einer Initiative Armut und Hunger in sieben afrikanischen Ländern bekämpfen. Tansania ist eines davon. Das katholische Hilfswerk Mieserer [sic!] steht dieser Initiative kritisch gegenüber". 
Aber das mal nur am Rande. Was ich eigentlich sagen möchte, ist dies: Zweifellos sind Christen zu sozialem Engagement aufgerufen, und sie dürfen und sollen durchaus auch politisch Stellung beziehen - als Einzelne, aber auch in Gestalt von kirchlichen Verbänden bzw. Institutionen. Wovor mir jedoch graut, das sind Aktivisten, die sich einbilden, dieses soziale und politische Engagement sei bereits das ganze Christentum oder jedenfalls das Wichtigste am Christentum. Das Wichtigste am Christentum ist jedoch das Bekenntnis zu Christus. Ohne dieses - so hat Papst Franziskus in einer Predigt am Tag nach seiner Wahl gewarnt - wäre die Kirche nichts als "eine wohltätige NGO".

Nun mag es sein, dass ich all den Klimapilgern und Hungertuchwallfahrern und Eine-Welt-Basar-Veranstaltern etc. ganz furchtbar unrecht tue - dass es sich bei ihnen, oder zumindest bei einem signifikanten Teil von ihnen, um tiefgläubige Christen handelt, die das Gebet, die Beichte und die Eucharistie ebenso innig pflegen wie ihr sozial-politisches Engagement und die bestrebt sind, nicht nur die Umwelt, sondern auch die eigene Seele rein zu halten. Die sich bewusst sind, dass das Heil der Welt nicht in politischen Maßnahmen liegt, sondern allein in Christus - und dass das Bestreben, die Welt zu verbessern, nicht mit Forderungen oder Schuldzuweisungen an Andere (etwa an "die Politik" oder "die Wirtschaft") anzufangen hat, sondern im eigenen Herzen (vgl. Matthäus 15,19f.: "Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsche Zeugenaussagen und Verleumdungen. Das ist es, was den Menschen unrein macht"). Nur, wenn dem so sein sollte, dann müsste man sich fragen, wieso man in Medienberichten über Aktionen wie den Pilgerweg für Klimagerechtigkeit - selbst in den Berichten kircheneigener Medienformate wie eben katholisch.de - so wenig davon merkt; wieso man dort den Eindruck bekommt, diese Aktionen würden im Wesentlichen von Leuten getragen, die sich unter "Kirche" gar nichts anderes vorstellen wollen als eben eine "wohltätige NGO", gegebenenfalls mit ein bisschen möglichst schwammiger "Spiritualität" drumherum. Vielleicht, wer weiß, sagt das letzten Endes weniger über die Teilnehmer des Klimapilgerwegs aus als über die Leute, die in den Redaktionen sitzen.

Garniert ist der Artikel auf katholisch.de mit einem Foto, auf dem "der wohl haarigste Pilger" zu sehen ist - und dabei handelt es sich, erfreulicherweise, nicht um einen zottelbärtigen Pastoralreferenten mit Klampfe und Norwegerpulli, sondern um einen Hund. Der ist wenigstens niedlich. Andererseits: Ein Hund, der pilgert? Gibt's sowas? - Offenbar: Laut katholisch.de sind auf dem Klimapilgerweg neben zahlreichen "Etappenpilger[n], engagierte[n] Christen und mehrere[n] Grundschulklassen, die sich derzeit im Unterricht mit dem Klima beschäftigen", ganze "35 Dauerpilger, darunter auch ein Hund". Warum auch nicht - ist ja schließlich ein ökumenischer Pilgerweg. Interessieren würde mich aber doch - nur aus Neugierde, wohlgemerkt -: Welche Konfession hat der Hund?


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