Sonntag, 9. April 2017

Mehr Anbetung wagen!


Vom 29. März bis zum 1. April fand in Herzogenrath bei Aachen eine Liturgische Tagung unter dem Motto „Die Quelle der Zukunft“ statt, zu der der Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Robert Kardinal Sarah, seine Teilnahme angekündigt, dann aber doch wieder abgesagt hatte. Diese Absage hatte im Vorfeld für einige Irritation gesorgt und zu allerlei Spekulationen Anlass gegeben. Noch größere Diskussionen dürfte allerdings Kardinal Sarahs für diese Veranstaltung verfasster Vortrag auslösen, der, da er ihn nicht selbst halten konnte, zur Eröffnung der Tagung verlesen wurde.

Anlass der Liturgischen Tagung in Herzogenrath war der zehnte Jahrestag der Veröffentlichung des Motu Proprio SummorumPontificum von Papst Benedikt XVI. – jenes Apostolischen Schreibens also, mit dem die Erlaubnis zur Zelebration der Heiligen Messe nach dem Messbuch von 1962 als „außerordentliche Form des Römischen Ritus“ neu geregelt wurde. In seinem Vortrag würdigt Kardinal Sarah das Schreiben Summorum Pontificum als bedeutenden Schritt zu einer liturgischen Erneuerung und betont, es gehe nicht darum, die beiden Formen des Römischen Ritus gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr darum, dass beide Formen einander befruchten und voneinander lernen sollen.

Gleichwohl übt der Kardinal scharfe Kritik an der rund 50 Jahre nach den vom II. Vatikanischen Konzil angestoßenen Reformen vorherrschenden liturgischen Praxis. Das Konzil, so Kardinal Sarah, habe keinesfalls einen „Bruch mit der Tradition“ angestrebt, „sondern ganz im Gegenteil […], die Tradition in ihrer tiefsten Bedeutung wiederzufinden und zu bestätigen“. In der praktischen Umsetzung der Liturgiereform habe sich jedoch vielfach eine Tendenz zur „Entsakralisierung und Banalisierung der Heiligen Liturgie“ durchgesetzt, eine Auffassung von Gottesdienst, deren Zentrum „nicht mehr Gott und Seine Anbetung“ sei, „sondern die Menschen und ihre angebliche Fähigkeit […], etwas zu ‚tun‘, um sich während der Eucharistiefeier mit etwas zu beschäftigen“. Der Präfekt der Gottesdienstkongregation erinnert daran, dass der jetzige emeritierte Papst Benedikt XVI. bereits 1992, noch als Kardinal Ratzinger, „eine zur Show degenerierte Liturgie“ beklagte, „in der man die Religion mit modischen Mätzchen […] interessant zu machen versucht, mit Augenblickserfolgen in der Gruppe der Macher und mit einer nur um so breiteren Abwendung von Seiten all derer, die in der Liturgie nicht den geistlichen Showmaster suchen, sondern die Begegnung mit dem lebendigen Gott, vor dem unser Machen belanglos wird“. Kardinal Sarah urteilt, „die modernen Förderer einer lebendigen Liturgie“,  die „die Liturgie der Kirche nach ihren Vorstellungen umgestalteten“, hätten ein „Desaster“, eine „Verwüstung“, ja ein „Schisma“ verursacht. Mit Benedikt XVI. teilt Kardinal Sarah die Überzeugung, „dass die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht“; als folgen nennt er den „Relativismus bei der Vermittlung der Glaubens- und Morallehre, schwere Missbräuche […] sowie die rein soziale und horizontale Sicht der Mission der Kirche“.

Diese Zustandsanalyse mag düster erscheinen, hat aber zweifellos ihre Berechtigung – gerade auch da, wo sie einen Zusammenhang zwischen Krise der Liturgie und Krise des Glaubens herstellt. Dass gerade dort, wo allzu frei und „experimentell“ mit der Liturgie umgesprungen wird, oft auch Glaubenswahrheiten relativiert oder verzerrt werden, ist nicht bloß eine Erfahrungstatsache, sondern weist auch eine innere Folgerichtigkeit auf, die gewissermaßen ex negativo den auch vom II. Vaticanum betonten Stellenwert der Liturgie als „Höhepunkt und Quelle des Lebens und der Mission der Kirche“ unterstreicht. Man könnte sagen: Wo nicht mehr Gott der zentrale Bezugspunkt der Liturgie ist, sondern der angenommene bzw. unterstellte „Geschmack“ und die vermeintlichen Bedürfnisse des Publikums, da liegt es umso näher, mit der Glaubens- und Sittenlehre der Kirche ebenso geschmäcklerisch und bedürfnisorientiert zu verfahren. Dass die tatsächlichen Bedürfnisse der Gläubigen mit einer solchen oberflächlichen Anbiederung gerade nicht erfüllt werden, davon künden nicht allein die immer leereren Kirchen. Nach Jahrzehnten liturgischer und katechetischer Fehlentwicklungen muss man davon ausgehen, dass ganze Generationen von Katholiken das, worauf sie nach den Worten Kardinal Sarahs „ein Recht haben: die Schönheit der Liturgie, ihre Heiligkeit, die Stille, die Andacht, die mystische Dimension und die Anbetung“ – und ebenso auch eine klare und authentische Verkündigung des Wortes Gottes – kaum noch kennen.

Bildquelle: Pixabay 

Wie ist hier Abhilfe zu schaffen? In seinem Vortrag nennt Kardinal Sarah drei Aspekte, die er als wesentlich für eine liturgische Erneuerung betrachtet: „Zunächst […] die heilige Stille, ohne die man Gott nicht begegnen kann“. Sodann die Anbetung: „Wie es Benedikt XVI. schon oft betont hat, findet sich an der Wurzel der Liturgie die Anbetung, und somit Gott.“ Und „[s]chließlich die liturgische Ausbildung, von einer Glaubensverkündigung oder –katechese ausgehend, deren Maßstab der Katechismus derKatholischen Kirche ist, was uns vor möglichen mehr oder weniger gelehrten Hirngespinsten bestimmter Theologen bewahrt.“


Ob die besagten mehr oder weniger gelehrten Theologen sich von diesen Anmerkungen des Kurienkardinals beeindrucken lassen, steht freilich zu bezweifeln. Als ermutigend kann man es hingegen ansehen, dass sich gerade bei jüngeren Gläubigen tatsächlich eine gesteigerte Sehnsucht nach der Heiligkeit und dem Mysterium der Liturgie bemerkbar macht. „Eine der großartigsten Gaben, die der Heilige Geist heute der Kirche schenkt, ist ein neues Bewusstsein für Anbetung und ein neuer Hunger nach Anbetung“, stellte etwa der Päpstliche Hausprediger Pater Raniero Cantalamessa während der vom Gebetshaus Augsburg ausgerichtetenMEHR-Konferenz im vergangenen Januar fest. Initiativen wie das aus dem Geist der Weltjugendtage hervorgegangene „Nightfever“ verbinden die Praxis der Eucharistischen Anbetung mit einer Gestaltung, die gerade Jugendliche und junge Erwachsene anspricht. Während eher traditionell eingestellte Katholiken solche Formate wegen ihres „Eventcharakters“ mit einer gewissen Skepsis betrachten mögen, ist andererseits festzustellen, dass die Möglichkeiten zur stillen Eucharistischen Anbetung in einfachen Pfarrkirchen – sei es mit Aussetzung des Allerheiligsten oder vor dem geschlossenen Tabernakel – vielerorts zu wünschen übrig lassen. Papst Franziskus rief in seinerBotschaft an den 26. Eucharistischen Nationalkongress Italiens im Sommer 2016 die Gläubigen dazu auf, „oft – möglichst täglich – das Allerheiligste Altarsakrament zu besuchen, das in unseren Kirchen aufbewahrt, aber oft allein gelassen wird“. Vielerorts ist das aber gar nicht möglich, da zahlreiche Kirchen – obwohl das katholische Kirchenrecht vorsieht, dass „eine Kirche, in der die heiligste Eucharistie aufbewahrt wird, täglich wenigstens einige Stunden für die Gläubigen offenzuhalten“ ist (Can. 937 CIC) – außerhalb der Gottesdienstzeiten geschlossen bleiben, etwa aus Angst vor Diebstahl oder Vandalismus. Es wäre zu fragen, ob eine Kirche nicht Gefahr läuft, ihren Daseinszweck zu verfehlen, wenn sie der Unversehrtheit ihrer Kunstgegenstände einen höheren Stellenwert beimisst als ihrer Aufgabe, eine Stätte der Anbetung zu sein – oder auch, ob es nicht möglich sein sollte, die Öffnungszeiten einer Kirche so zu gestalten, dass Mitglieder der Gemeinde wenigstens für einige Stunden am Tag vor dem Tabernakel „Gebetswache“ halten. Wäre dies nicht auch ein fruchtbares Feld für das oft vehement eingeforderte Engagement der Laien in den Pfarrgemeinden? 



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