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Montag, 31. Juli 2017

Lourdes: Ein Rückblick in Fragmenten und Bildern


Nach unserer Ankunft in Lourdes, Mittagessen und etwas Ausruhen von der Reise suchten wir erst einmal die Grotte auf - und zogen uns dann für ein Weilchen in die Anbetungskapelle zurück. Mein erster Eindruck vom Heiligen Bezirk: Die ganze Atmosphäre ist bedeutend würdevoller und weniger touristisch, als ich es mir vorgestellt hätte.





Mit Einschränkungen gilt das sogar für den gesamten Ort. Das Sortiment der um den Heiligen Bezirk herum gruppierten Souvenir- und Ramschläden ist nicht durchweg geschmackssicher, aber auch hier kann man sagen, das Ausmaß der Kommerzialisierung ist beiweitem nicht so penetrant, wie man hätte befürchten können. Oder jedenfalls wirkt es nicht so penetrant. Man muss bedenken: Ohne die Marienerscheinungen wäre Lourdes - trotz der landschaftlich durchaus attraktiven Kulisse der Pyrenäen - ein völlig unbedeutendes Kaff, und somit ist es ganz natürlich, dass die gesamte Infrastruktur des Ortes auf die Pilger ausgerichtet ist. Genau deswegen herrscht aber auch eine permanente Volksfeststimmung im Ort, die Leute freuen sich, hier zu sein, und sind einander wohlgesonnen.



Im Gegensatz zum Jakobsweg ist hier auch kaum etwas von einer etwaigen esoterisch-neuheidnischen Vereinnahmung des Heiligtums zu bemerken, die quasi in Konkurrenz zu offiziellen katholischen Lesart des Heiligtums stünde. Vorstellbar wäre so etwas ja: Ebenso wie der Jakobsweg von einschlägigen Kreisen gern als aus heidnischer Zeit stammender "Weg der Sterne" gedeutet wird, dessen eigentlicher und ursprünglicher Zielpunkt nicht das Grab des Apostels Jakobus, sondern ein keltisches Sonnenheiligtum am Kap Finisterre gewesen sei, gibt es sicherlich auch Theorien bzw. Spekulationen darüber, dass die Marienerscheinungen von Lourdes in Wirklichkeit Erscheinungen einer vorchristlichen Gottheit (oder wahlweise eines außeriridischen Astronauten) gewesen seien. Aber davon ist, wie gesagt, vor Ort praktisch nichts zu spüren: Lourdes ist fest in katholischer Hand. In der Altstadt entdeckten wir einen einzigen Esoterik-Laden ("La Fée Cristalle") - und selbst der verkaufte neben Heilsteinen und allerlei sonstigem Schnickschnack auch Rosenkränze... 


Notiz für die Zukunft: Beim Besuch klassischer katholischer Pilgerorte kann es nicht schaden, seinen vollgestempelten Jakobsweg-Pilgerausweis mitzunehmen, Das öffnet Türen. (Im Jakobus-Pilgerbüro von Lourdes hat man uns freundlicherweise auch ohne Ausweis geglaubt, dass wir Jakobsweg-Veteranen sind.) 

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"Ich preise Dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil Du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast." (Matthäus 11,25) 
"Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen." (1. Korinther 1,27) 
Diese Schriftworte passen, wie ich finde, bemerkenswert gut auf Bernadette Soubirous. Aus den überlieferten Worten und Handlungen dieses ungebildeten, von Vielen geradezu für dumm oder geistig zurückgeblieben gehaltenen Mädchens spricht eine Weisheit, die buchstäblich "nicht von dieser Welt" ist, und das treibt mir hier wieder und wieder die Tränen in die Augen.



Haube, Rosenkranz und Holzschuh der Hl. Bernadette Soubirous 

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Als ich auf einem der Mosaike in den Nischen links neben der Rosenkranzbasilika den Schriftzug "Ich verspreche Ihnen nicht, Sie in dieser Welt glücklich zu machen, aber in der künftigen" las - ein Wort Mariens an Bernadette im Zuge der dritten Erscheinung am 18. Februar 1858 -, musste ich ein bisschen weinen.




Als ein unerwartetes Highlight erwies sich die "Mission de l'Immaculée" in der Rue des Petites Fossés, ganz in der Nähe des "Cachot", in dem Bernadettes Familie einige Jahre leben musste. Ein junger Franziskanermönch erzählte uns - auf Englisch - allerlei über Leben und Werk des Hl. Maximilian Kolbe, der ja weithin fast ausschließlich für die Umstände in Auschwitz bekannt ist. Seine umfangreiche publizistische Tätigkeit im Dienste dessen,was man heute wohl Neuevangelisierung nennen würde, war mir bislang ebenso unbekannt gewesen wie seine Missionstätigkeit in Japan. Bei Gelegenheit muss ich mal in Erfahrung bringen, ob Dorothy Day etwas über Pater Kolbe geschrieben hat - sie waren schließlich Zeitgenossen. 
Zum Abschluss unseres Besuchs in der Mission de l'Immaculée erhielten wir in der Kapelle von einem älteren Franziskanerpater einen Segen mit einem Reliquiar des Hl. Maximilian Kolbe. Das Reliquiar enthielt, wie man uns sagte, Barthaare des Heiligen. ("Der Leichnam wurde in Auschwitz verbrannt. Hätte man ihn nicht schon zu Lebzeiten als einen Heiligen angesehen und deshalb beim Haareschneiden immer mal etwas von dem Abgeschnittenen beiseite geschafft, dann hätten wir heute keine Reliquien von ihm.")



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Sehr anrührend an Lourdes finde ich, dass überall - besonders natürlich im Heiligen Bezirk, aber z.B. auch in Lokalen und Geschäften - den Schwerkranken und Behinderten besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge zuteil wird. Es ist auf eine sehr eindringliche Weise spürbar, dass dieser Ort in einem speziellen Sinne ihr Ort ist.




Noch einmal zurück zu der Feststellung, Lourdes sei "fest in katholischer Hand": Wie schon gesagt, ist Lourdes einzig aufgrund der Marienerscheinungen ein beliebtes Reiseziel, und wenn es auch durchaus denkbar ist, dass ein Teil der Besucher das Wallfahrtsgeschehen lediglich als kulturelles Phänomen interessant findet und eher distanziert betrachtet, dürfte das wohl doch allenfalls auf eine kleine Minderheit zutreffen. Speziell dem umfangreichen Pilger-"Programm" aus Rosenkranzgebet, Messbesuch, Beichte, Kreuzweg, Waschung und Prozessionen wird man sich wohl nicht so leicht aus rein "touristischem" Interesse unterwerfen. Ich möchte daher die These wagen: Die Allermeisten, die nach Lourdes kommen, kommen tatsächlich des Glaubens wegen hierher.
So gesehen stimmen die vielen Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Familien mit Kindern, die man hier trifft, ausgesprochen hoffnungsvoll. Auffallend ist auch die große Zahl afrikanischer oder zumindest afrikanischstämmiger Pilger. Darunter sind stattliche Frauen mittleren Alters in prachtvollen bunten Kleidern, auf denen Heiligenbilder oder biblische Szenen abgebildet sind, aber auch eine Jugendgruppe, die an einem der ersten Tage unseres Aufenthalts beim Rosenkranzgebet an der Grotte vorbetete. Man muss bedenken, dass Afrika der Kontinent ist, unter dessen Bevölkerung die Katholische Kirche am stärksten wächst. Insofern bekommt man hier einen Vorgeschmack auf die Zukunft der Weltkirche, und mir gefällt das. 
Ebenfalls auffallend stark vertreten sind Inder und Vietnamesen, außerdem - weniger überraschend - Iren, Polen und Slowaken. Und natürlich Franzosen, Spanier und Italiener. Deutsche hingegen kaum. Vermeintliche Deutsche entpuppen sich auf den zweiten Blick häufig als Österreicher.  
So zum Beispiel bei der deutschsprachigen Messe in der Kapelle St. Kosmas und Damian am Montag. "Schon fühlt man sich geistlich wieder nach Deutschland versetzt", meinte meine Liebste augenzwinkernd. Nicht ganz zu Unrecht. Wären wir mal lieber in der französischsprachigen Messe in der Rosenkranzbasilika geblieben... Zur Eröffnung gab's ein NGL der grausigsten Sorte: "Komm her, freu dich mit uns, tritt ein" (Nr. 148 im Gotteslob), und schon fühlte man sich wie in einem Kindergottesdienst für Senioren. Die Predigt enthielt einige gute Gedanken, war aber total "zer-labert". Kniebänke gab es in der Kapelle auch nicht; trotzdem knieten die meisten Teilnehmer während der Wandlung und beim Empfang der Kommunion. Ganz so deutsch war's also doch nicht.  

Kreuzweg, 9. Station: Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz 


Am selben Tag dann deutschsprachige Beichte in der dem Hl. Pfarrer von Ars geweihten "Kapelle der Versöhnung". Die beiden deutschsprachigen Beichtväter hatten bei der Messe am Vormittag konzelebriert, einer von ihnen war ein Inder. Gutes Beichtgespräch; das Beeindruckendste an der Beichte ist aber immer der Moment, in dem der Beichtvater seine seelsorgerischen Anmerkungen oder Ratschläge beendet hat und zur Absolution übergeht. Man kann - mir geht das jedenfalls immer wieder so - ganz deutlich spüren, dass der, der da spricht, nicht mehr derselbe ist wie zuvor. Der Priester kann "als er selbst" gute und hilfreiche geistliche Anregungen geben und auch eine angemessene Buße für die gebeichteten Sünden festlegen, aber die Sünden vergeben, das kann er nicht "als er selbst": Das kann er nur in persona Christi. Und somit ist es Christus selbst, der die Absolution ausspricht - der Priester leiht ihm nur seine Stimme.

Der Hl. Pfarrer von Ars vor der ihm geweihten Beichtkapelle. 


Nach der ersten Teilnahme an der allabendlichen Lichterprozession stellte ich fest, dass die Prozession auf den Fotos, die ich von ihr gemacht hatte, eindrucksvoller aussah, als ich sie empfunden hatte. Also mussten wir ein paar Tage später noch einmal daran teilnehmen.
Bei unserer zweiten Lichterprozession gerieten wir mitten in den deutschen Pilgerblock - der im Wesentlichen aus einer Reisegruppe von "Grimm-Reisen" zu bestehen schien. Ein Banner informierte darüber, dass die Grimm-Pilger aus den Diözesen Freiburg, Mainz und Speyer kamen - durchweg recht liberale Diözesen, was sich auch darin äußerte, dass die Mitglieder dieser Reisegruppe offenbar kein Latein konnten. -- Das muss ich wohl erläutern. Während der Lichterprozession wird der Rosenkranz gebetet (wobei zwischen den einzelnen Gesätzen Lieder eingeschoben werden, damit man nicht zu schnell fertig ist). Dabei werden die Ave Marias von Pilgern unterschiedlicher Herkunft in ihrer jeweiligen Muttersprache vorgebetet, aber die anderen Teile des Rosenkranzes werden auf Latein gebetet. Das Credo - und zwar das große, also das Nizäno-Konstantinopolitanum - beteten die Grimm-Pilger überhaupt nicht mit (obwohl es auf die bunten Papierschirmchen für die Kerzen aufgedruckt war), das Vaterunser hingegen stur auf Deutsch. Mir kam das schon ein bisschen demonstrativ vor. Um sie zu schockieren, schloss ich ab dem zweiten Rosenkranz-Gesätz an das (gesungene) "Gloria Patri et Filio..." jeweils noch das Fatima-Gebet ("O mein Jesus...") an. Suse machte mit. 







Am Sonntag große internationale Pilgermesse in der unterirdischen Basilika St. Pius X., zelebriert Vom Bischof von Grenoble-Vienne, Guy de Kerimel. Anwesend waren noch mindestens acht weitere Bischöfe, darunter einer im Rollstuhl. Die Basilika selbst ist natürlich in erster Linie ein Zweckbau: 
"Hm, wir haben nicht genug Platz, um mit all den vielen Pilgern die Heilige Messe zu feiern, aber wir wollen auch nicht den ganzen Heiligen Bezirk mit Gebäuden vollstellen."
"Wir könnten unterirdisch eine große Basilika anlegen!"
"Interessante Idee, aber wird die dann auch wunderschön prächtig?"
"Das könnte eher schwierig werden."
"Och nö, dann lassen wir's lieber" -- said no one ever
Aber obwohl ich im Großen und Ganzen nicht unbedingt ein Freund von Betonkirchen und insgesamt kein großer Freund der "abstrakten Moderne" bin, finde ich, der Raum strahlt auf seine Art durchaus Würde und Feierlichkeit aus. Die Beton-Rippen an Decke und Wänden erinnern an das Unterdeck eines Schiffes, was ja auch eine schöne Symbolik hat.



Gedanken in der Warteschlange zu den Bädern: Das Wasser von Lourdes heilt an und für sich niemanden. Untersuchungen haben gezeigt, dass es normale Trinkwasserqualität hat. Die Heilungen von Lourdes werden nicht durch das Wasser bewirkt, sondern durch den Glauben.
Gleichzeitig und andererseits ist aber schon die Tatsache, dass es diese Quelle gibt, ein Wunder. Als die Heilige Jungfrau bei der 9. Erscheinung am 25. Februar 1858 Bernadette anwies, "von der Quelle zu trinken und sich zu waschen", war an der Stelle, auf die die Jungfrau wies, gar keine Quelle zu sehen, sondern nur ein bisschen feuchte Erde. Aber Bernadette gehorchte, und nachdem sie den Boden mit den Händen ein bisschen aufgegraben hatte, trat mehr und mehr Wasser an die Oberfläche - wodurch kurz darauf die Quelle entdeckt und freigelegt wurde, die noch heute sprudelt.
So gesehen ist die Quelle von Lourdes ein Symbol für einen Glauben, der so unbedingt ist, dass er dazu befähigt, Gott auch dann zu gehorchen, wenn es sinnlos scheint.

Fenster in der Basilika zur Unbefleckten Empfängnis: Die 9. Erscheinung. 

Hinter Glas: Die Quelle in der Grotte Massabielle 


Dass in Lourdes die Kranken und Behinderten in Allem Vorrang haben, bekam ich auch in den Bädern ganz konkret zu spüren: Kurz bevor ich theoretisch an der Reihe gewesen wäre, wurde ein alter Mann in einem der Lourdes-typischen blauen Rollstühle hereingeschoben - und kam vor mir dran. Er war offenbar körperlich und geistig behindert, und es war ihm augenscheinlich peinlich, sich ausziehen zu lassen - zumal er auch eine Windel trug, die ihm ebenfalls abgenommen und nach dem Bad durch eine frische ersetzt wurde. Angst hatte er wohl obendrein, er weinte und jammerte unartikuliert, und als er ins Wasser getaucht wurde, brüllte er das Ave Maria auf Französisch. Als er wieder herausgeschoben wurde, wirkte er gelöst und zufrieden.


Übrigens hatte auch ich wohl so etwas wie Angst vor dem Besuch der Bäder, oder jedenfalls einen starken inneren Widerstand dagegen. Aber meine Liebste bestand darauf, das gehöre zu einer Pilgerreise nach Lourdes dazu. Gut von ihr. Oft sind ha die Erfahrungen, vor denen man sich am meisten scheut, am Ende die besten. So auch hier. Ich kann oder mag es nicht näher beschreiben; jedenfalls: Es war toll!


An unserem letzten Abend in Lourdes gingen wir essen im New Orleans Café ganz in der Nähe des Hotels. Unser Kellner, ein Belgier, war außerordentlich nett und erkundigte sich nach Suses (inzwischen recht unübersehbaren) Schwangerschaft. Bevor wir gingen, rief der Kellner den Küchenchef herbei und machte ihn darauf aufmerksam, dass eine "future maman" anwesend sei - woraufhin der Küchenchef uns wundertätige Medaillen und einen Zettel mit einem Gebet schenkte. Das passiert einem wohl auch so leicht an keinem anderen Ort!




Und nun sind wir, nach sechs Tagen Lourdes sozusagen randvoll aufgeladen mit Segen, weitergereist nach Nordenham. Von dort wird es auch noch allerlei zu berichten geben...



Dienstag, 25. Juli 2017

Sag mir, wie viel Sternlein stehen. Ein Lehrstück.

Urs von Wulfen ist Social-Media-Redakteur im Bistum Osnabrück, und außerdem sagt man ihm eine "kabarettistische Ader" nach - weshalb er z.B. eine Reihe von YouTube-Videos unter dem Titel "Achtung! Kann Spuren von Glauben enthalten" produziert hat. Darüber hinaus ist Urs von Wulfen ein loyaler Kollege. Ein sehr, sehr loyaler Kollege, auch gegenüber Social-Media-Mitarbeitern anderer Bistümer. Deshalb schaut Urs von Wulfen öfter mal auf den Facebook-Seiten benachbarter Bistümer wie Essen oder Münster nach dem Rechten und springt den dortigen Verantwortlichen mutig bei, wenn deren Arbeit nicht ausreichend gewürdigt wird. 



So schrillten jüngst bei Urs von Wulfen die Alarmglocken, als die Facebook-Seite des Bistums Münster von einem Nutzer mit dem wohl nicht ganz der Facebook-Klarnamenspflicht genügenden Namen Stefan Grotfls die schlechteste mögliche Bewertung erhielt: Nur einen von fünf möglichen Sternen! Die Bewertung des Herrn "Grotfls" ist übrigens ausgesprochen lesenswert; hier ein Auszug: 
"Tiere, die mit Tieren kuscheln?! Menschen, die mit Tieren kuscheln?! Katzenvideos?! Die Sendung mit der Maus?! Lebensweisheiten aus dem Abreißkalender?! Haben Sie vielleicht derzeit eine Ferienvertretung, das würde einiges erklären.
Manchmal habe ich nämlich das Gefühl, dass die Facebook-Seite des Bistums Münster vom Kegelstammtisch älterer Hausfrauen gehackt wurde, die der Meinung sind, [i]hre Lieblingsvideos mit dem ganzen Internet teilen zu müssen.
[...]
Ich empfehle eine Schulung zum Thema 'seriöse Internetpräsenz für kirchliche Einrichtungen'.
Und entschuldigen Sie den vielen Sarkasmus." 
Das konnte Urs von Wulfen nicht auf den Münsteraner Kollegen sitzen lassen! Und so wies er den Kritiker geharnischt zurecht:
"[M]achen die Kollegen aus ihrer Sicht auch etwas richtig? Wenn sie dies bejahen können frage ich mich, ob es dann fair ist hier die schlechteste Bewertung zu hinterlassen? Nebenbei kann ich sagen, dass an dieser Seite absolute Profis arbeiten, die ein[e] durchaus seriöse Arbeit machen. [...] Das[s] sie dieses Konzept nicht gut finden ist ihr gutes Recht, aber deshalb hier die Kompetenz der Mitarbeiter so massiv in Frage zu stellen halte ich für maßlos übertrieben." 
Schließlich: So geht's ja nicht! Aber mit dieser Replik ist die Sache noch nicht ausgestanden; denn der Verfasser der negativen Bewertung beharrt, er habe alles Recht dazu, die Gestaltung der Bistumsseite doof zu finden und das auch zu äußern - denn, nun ja, wofür gibt es sonst eine Bewertungsfunktion auf der Seite? Den nun folgenden Kommentardialog als "bizarr" zu bezeichnen, wäre noch freundlich. Nur einen Stern für die Social-Media-Arbeit des Bistums Münster, das geht nun wirklich gar nicht, findet Urs von Wulfen und versteigt sich zu Äußerungen wie "Dann hoffe ich sehr, dass sie in ihrem Leben Richtern begegnen, die bereit sind sich ein Gesamtbild von ihnen zu machen und sie nicht aufgrund eines Fehlers aburteilen". -- Ich räume ein, dass ich auf derartige niederträchtige Psycho-Spielchen besonders empfindlich reagiere, weil sie mich an meine Grundschulklassenlehrerin erinnern. Vordergründig antiautoritär, lieb und sanft tun, aber hintenrum den Kindern vermitteln, sie sollten sich gefälligst in Grund und Boden schämen, dass sie so fies sind. Ich schätze, in den 80ern wäre Urs von Wulfen eine prima Grundschulklassenlehrerin geworden. Heutige Grundschüler dürften allerdings zähere Brocken sein. 

Bei alledem fragt man sich natürlich auch, was Urs von Wulfen eigentlich antreibt, sich derart ins Zeug zu legen. Bekommen die Münsteraner Kollegen Stockschläge für schlechte Bewertungen? Wird ihnen der Nachtisch gestrichen, wenn sie ihre Like-Quote nicht erfüllen? Das würde immerhin erklären, warum sie in ihrer Arbeit so gern auf massentaugliche Plattitüden setzen - und warum sie so unsouverän-angepisst reagieren, wenn sie mal einen kritischen Kommentar ernten. 

Dass sich im weiteren Verlauf auch noch der einschlägig bekannte Klaus Ebner - von dem ich, anders als bei Urs von Wulfen, indes nicht weiß, für wen er eigentlich arbeitet - in die Diskussion einschaltete, offenbar annahm, bei einem Kritiker der Münsteraner FB-Präsenz könne es sich nur um etwas so Verabscheuungswürdiges wie einen "katholischen Blogger" handeln, und zu seiner üblichen "Ihr seid doch alles Nazis"-Routine griff, lässt sich nur noch rudimentär rekonstruieren, da Herr Ebner seinen diesbezüglichen Kommentar offenbar auf die Versicherung des Herrn "Grotfls", er sei weder ein katholischer Blogger noch ein Klimaleugner[!], wieder gelöscht und sich sogar dafür entschuldigt hat. 

Der ganze Vorgang wirft ein grelles Licht darauf, wie sehr bei kirchlichen Social-Media-Mitarbeitern - die doch, den Beteuerungen des Urs von Wulfen zufolge, lediglich "Lebensfreude vermitteln" wollen und außerdem "absolute Profis" sind - die Nerven blank liegen, sobald man ihnen mal kontra gibt. Da erscheint jede noch so harmlose Kritik gleich als das Ergebnis einer Verschwörung dunkelkatholischer Finsterlinge - und führt somit nur dazu, dass man sich umso mehr im Recht fühlt und in der Auswahl der Mittel, die Kritik ab- und die Kritiker zurechtzuweisen, jedwede Zimperlichkeit fahren lässt. - Zur Frage der "Professionalität" der Facebook-Redakteure von Bistümern wie Münster, Essen oder auch Osnabrück wäre schließlich noch zu erwägen, worin diese Professionalität eigentlich besteht. Man könnte den Begriff "Professionalität" verstehen als "das tun, wofür man bezahlt wird, und zwar zur Zufriedenheit der Auftraggeber". Wofür also werden die kirchlichen Social-Media-Mitarbeiter bezahlt? Was erwarten ihre Auftraggeber von ihnen? Den jeweiligen Seiten positive Bewertungen und möglichst viele "Likes" zu verschaffen? Nun, wenn es nur das ist, dann wird man wohl anerkennen können und müssen, dass die Herren und Damen Redakteure in ihrer Arbeit recht erfolgreich sind. Aber kann das wirklich alles sein? Sollte kirchliche Medienarbeit nicht vielleicht irgendwie auch etwas mit Glaubensverkündigung zu tun haben? Das wäre dann freilich ein Anspruch, der allein mit "Professionalität" nicht zu erfüllen ist. Durchaus etwas mit Professionalität zu tun hätte es allerdings, wenigstens seine Hausaufgaben zu machen. In der Münsteraner Facebook-Redaktion jedoch sitzen Leute, die - wie hier und anderswo schon an einer Vielzahl von Fallbeispielen aufgezeigt - vom christlichen Glauben lediglich rudimentäre Kenntnisse haben. So rudimentäre, dass sie schlechterdings nicht in der Lage sind, zwischen genuin christlichen Glaubensaussagen und esoterisch angehauchter Allerweltsspiritualität einen Unterschied festzustellen. Und deshalb verstehen sie auch nicht, was es an ihrer Arbeit zu kritisieren gibt, und können Kritik nur als böswillig auffassen. 

"Stefan Grotfls" ist in seiner Kritik noch nicht einmal auf die Frage der Glaubensverkündigung eingegangen. Er wollte lediglich ein seriöses Erscheinungsbild und sachliche Informationen aus dem Bistum und über das Bistum anmahnen. Das hat genügt, ihn nach allen Regeln der Kunst zur Schnecke zu machen. Ich beantrage Ehrenmitgliedschaft für "Stefan Grotfls" in der FB-Gruppe "Ein ungenanntes Bistum"



Montag, 24. Juli 2017

Dein Freund, der Ultrakatholik

Im letzten Halbjahr auf dem Gymnasium hatte ich in meinem Deutsch-Leistungskurs das Thema "Herrschaft durch Sprache". Ich war auf einem ziemlich linken Gymnasium, allerdings habe ich inzwischen, auch im Rahmen meiner Tätigkeit als Nachhilfelehrer, festgestellt, dass "Herrschaft durch Sprache" auch anderswo ein ziemlich beliebtes Thema ist, wenn es gilt, den in Lehrplänen geforderten Linguistik-Anteil in Deutsch-Leistungskursen abzudecken. 

Jedenfalls kam im Rahmen dieses Halbjahres-Oberthemas seinerzeit auch Bertolt Brechts "List, die Wahrheit unter vielen zu verbreiten" (aus "Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit") "dran", und dieser Text ist mir sehr deutlich im Gedächtnis geblieben. Brecht schreibt da u.a.: 
"Zu allen Zeiten wurde zur Verbreitung der Wahrheit, wenn sie unterdrückt und verhüllt wurde, List angewandt. Konfutse fälschte einen alten patriotischen Geschichtskalender. Er veränderte nur gewisse Wörter. Wenn es hieß 'Der Herrscher von Kun ließ den Philosophen Wan töten, weil er das und das gesagt hatte' setzte Konfutse statt töten 'ermorden'. Hieß es, der Tyrann so und so sei durch ein Attentat umgekommen, setzte er 'hingerichtet worden'. Dadurch brach Konfutse einer neuen Beurteilung der Geschichte Bahn." 
Sicherlich könnte man Einiges dazu sagen, dass Brecht hier (und in dem ganzen Essay) seinen eigenen ideologischen Standpunkt mit "der Wahrheit" identifiziert, aber als Katholik sollte man wohl vorsichtig sein, das zu kritisieren, sonst kommt gleich einer und sagt "Wieso, das macht ihr Katholiken doch auch." Darauf könnte man natürlich erwidern "Ja, aber in unserem Fall ist es wirklich die Wahrheit", aber das glauben Nichtkatholiken einem ja nicht. Sonst wären sie ja Katholiken. 

Jedenfalls: Die Methode, die Brecht hier beschreibt und (vermutlich fälschlich, wie ich ihn kenne) dem Konfuzius zuschreibt - sich heimlich, still und leise die Deutungshoheit im gesellschaftlichen Diskurs anzueignen, indem man Begriffe besetzt bzw. umdefiniert -, wird bis heute gern praktiziert; nicht nur von jenen, die weltanschaulich im selben "Lager" stehen wie Brecht, aber von diesen besonders eifrig und erfolgreich. Ein aktuelles Beispiel kann man in Gestalt des vom Gunda Werner Institut der Heinrich Böll Stiftung (beides nur echt mit dem Deppenleerzeichen) verantworteten "Antifeminismus-kritischen Online-Lexikon" bewundern, das auf die den Duft von Konspiration und Abenteuer atmende Abkürzung "Agent*In" hört. Wie das Gunda Werner Institut erklärt, geht es diesem Projekt darum, "Wissen, Daten, Fakten und Zusammenhänge über die Einflussnahme von antifeministischen Akteur_innen auf Politik und Öffentlichkeit" zu sammeln und zu organisieren, "diese Netzwerke, deren Institutionen, Geschichte und führende Protagonist*innen sowie deren Positionen sichtbar zu machen und über deren Ziele und Ideologien, Vorgehensweisen, Argumentationsstrategien und Distributionsmechanismen aufzuklären". Wer oder was als "antifeministisch" zu gelten habe, bestimmen die Initiatoren des Projekts dabei natürlich selbst. Das eigentlich Interessante an dieser Vorgehensweise ist aber, dass da stillschweigend so getan wird, als seien die vom Gunda Werner Institut vertretenen bzw. als richtig anerkannten Auffassungen über Feminismus, Gender, Familie, Ehe, Sexualität usw. - kurz gesagt: über "eine offene und liberale Gesellschaft" [sic!] - in solchem Maße deckungsgleich mit dem Guten, Schönen und Wahren schlechthin, dass abweichende Meinungen an und für sich bereits anprangernswert seien. Henryk M. Broder schreibt in der Welt, es handle sich um nichts Geringeres als eine "Massendenunziation von Menschen, die nichts anderes verbrochen haben, als in Frage von Ehe, Familie und Moral anderer Meinung zu sein als die Verfasser der Liste, die ihre Meinung für die einzig richtige und zulässige halten". 

Und was geht's mich an? Nun, abgesehen davon, dass ich die ganze Vorgehensweise höchst bedenklich finde, werden in diesem "Antifeminismus-kritischen Online-Lexikon" einige Blogger und Publizisten als gefährlich-böse "Akteur_innen" (wieso hier eigentlich der Unterstrich und nicht der Stern? Muss man wohl nicht verstehen) gebrandmarkt, mit denen ich auf Facebook befreundet bin, was wohl früher oder später auch mich in die Schusslinie befördern könnte. Zumal ich zum Teil in denselben Periodika publiziere wie diese. Und - ich habe in der "Agent*In"-Suchmaske keine vollständige Suche nach allen meinen publizistischen Kontakten durchgeführt, aber - mindestens eine Person, die da auftaucht (ich nenne mal keine Namen, um die Denunziationsschraube nicht noch weiter zu drehen), ist nicht nur in den Sozialen Netzwerken, sondern auch im wirklichen Leben ein Freund, noch dazu einer, mit dem ich mich recht regelmäßig über geplante oder angedachte Projekte austausche. 

Das Bindeglied zwischen den betreffenden Personen (und, potentiell, mir) ist im Sprachgebrauch der "Agent*In" die Kategorie "Ultrakatholizismus". Dieser wird definiert als 
"ein rechtsgerichteter Katholizismus, der sich emanzipatorischen Bestrebungen im Katholizismus entgegenstellt (Kampf gegen den sogenannten 'Modernismus'), eine stärkere Hierarchie anstrebt, in Geschlechter- und Familienfragen extrem konservativ auftritt oder aristokratisch-monarchistische Tendenzen hat." 
Isnichwahr! Mit anderen Worten also "Katholiken, die (horribilie dictu!) so richtig echt an das glauben, was ihre Kirche lehrt"? Na, gegen die muss man natürlich entschlossen vorgehen! (Das mit den aristokratisch-monarchistischen Tendenzen halte ich übrigens für ausgedacht oder zumindest für übertrieben. Obwohl, im Herzen bin ich ja auch Monarchist.) -- Ach ja, und dann das noch: "Von einigen ultrakatholischen Gruppen wird das Zweite Vatikanische Konzil abgelehnt." Wie in aller Welt hat man sich das vorzustellen - das Zweite Vatikanische Konzil abzulehnen? "Zweites Vatikanisches Konzil? Ich bin dagegen." Tja, Pech gehabt: Es war schon. Vermutlich meinen die Verfasser des "Lexikon"-Eintrags, dass Beschlüsse des II. Vaticanums abgelehnt werden. Sowas soll's ja geben, wobei meines Wissens selbst die Piusbruderschaft nur einzelne Formulierungen einzelner Konzilsdokumente kritisiert. Aber das ist halt der Witz an diesem "Agent*In"-Eintrag: Von dem echten Ultrakatholizismus, den es ja durchaus gibt, haben die Verfasser*innen überhaupt keine Ahnung, sonst würden sie nicht auf die Idee kommen, Leute wie [...ich wollte keine Namen nennen...] in diese Kategorie einzuordnen. Schon die Liste "ultrakatholische[r] Organisationen", die die "Agent*In" beisteuert, ist ein Lacher. Da erscheint an erster Stelle die Priesterbruderschaft St. Pius X. und direkt danach das Opus Dei - zwei Organisationen, die ja nun nicht so furchtbar viel miteinander gemeinsam haben, aber: Opus Dei, das war doch diese finstere Killergesellschaft in Dan Browns Da Vinci Code, oder? Mehr braucht man nicht zu wissen. Ach ja, die Legionäre Christi stehen auch auf der Liste. 

Nun, ganz so lustig ist das Ganze im Zeichen grassierender Hate Speech-Debatten natürlich nicht, schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass das Projekt "Agent*In" von einer aus Bundesmitteln geförderten Stiftung betrieben wird. Gerade für Menschen, die im publizistischen Bereich ihre Brötchen verdienen, könnte ein solcher "Online-Pranger" erhebliche berufliche Nachteile, wenn nicht Schlimmeres, bedeuten - wozu, so mag man fragen, wäre er sonst da? Um abschließend noch einmal persönlich zu werden: Wenn ich mir ansehe, aus was für Gründen andere Leute (z.B. eben solche, die ich kenne) in diesem "Lexikon" erscheinen, dann muss ich eingestehen, ich gehöre da auch rein. Schon allein, weil ich hier auf meinem Blog und in anderen Veröffentlichungen gern mal gegen "emanzipatorische Bestrebungen im Katholizismus" Stellung beziehe und regelmäßig und vehement für den "Marsch für das Leben" werbe (und seit nunmehr bald sechs Jahren selbst daran teilnehme). Dass die "Agent*In" mich (noch) nicht auf dem Schirm hat, lässt sich im Grunde nur dadurch erklären, dass ich mit meinen publizistischen Aktivitäten einfach (noch) nicht wichtig genug bin. 

Was immerhin eine Erkenntnis ist, die die christliche Demut fördert. 


Ein offenes Haus

Einer der erfreulichsten Aspekte der Tatsache, dass meine Liebste und ich jüngst innerhalb Berlins umgezogen sind, besteht darin, dass wir jetzt eine Wohnung haben, in der wir Besuch empfangen können. Das war in der alten Wohnung schon aus Platzgründen schlechterdings nicht möglich. Und weil wir uns so sehr über diese neue Errungenschaft freuen, wollten wir von dieser Möglichkeit auch so schnell wie möglich Gebrauch machen - auch wenn die Wohnung noch nicht ganz fertig eingerichtet war und die Wohnküche noch deutliche Spuren des gerade erst (vorläufig) abgeschlossenen Möbelaufbaus trug. Kurz und gut, noch mitten im Umzugsstress luden wir für den letzten Sonntag vor unserem schon lange geplanten Sommerurlaub zu einer Art Wohnungseinweihung ein. Die Grundidee: Ab 11 Uhr vormittags durften alle unsere Freunde und Bekannten vorbeikommen, wann sie wollten bzw. wann es ihnen passte, und solange bleiben, wie sie mochten. Das Ergebnis war genau so, wie wir es uns vorgestellt und gewünscht hatten: Über einen Zeitraum von rund zehn Stunden herrschte ein munteres Kommen und Gehen in unserer neuen Wohnung. 

Ein weiterer sehr erfreulicher Aspekt unseres Umzugs ist, dass wir jetzt nur rund sieben Minuten Fußweg von unserer Kirchengemeinde entfernt wohnen. Damit erfüllen wir jetzt schon mal eines der Kriterien der "Idee eines christlichen Dorfes", die Rod Dreher im 5. Kapitel seiner Benedict Option aufstellt: Um die lokale Kirchengemeinde zum Lebensmittelpunkt zu machen, sei eine möglichst große räumliche Nähe zu selbiger hilfreich. Den Mietvertrag hatten wir allerdings schon unterschrieben, bevor ich das Buch gelesen habe. Aber man kann ja auch ruhig mal zugeben: Zu einem nicht unwesentlichen Teil hat mich die Benedict Option gerade deshalb so begeistert, weil da so einige Dinge drinstehen, die ich mir sowieso schon gedacht hatte. Bzw. zu einem noch wesentlicheren Teil deshalb, weil da so einige Dinge, die ich zuvor lediglich vage geahnt hatte, präzise auf den Punkt gebracht werden. Und dazu gehört eben die Wichtigkeit des Eingebundenseins in eine Ortsgemeinde - etwas, womit ich mich den größeren Teil meines Erwachsenenlebens eher schwer getan habe (zu den Gründen vielleicht ein andermal). Daran gilt es also zu arbeiten, und da die räumliche Nähe allein dafür schwerlich ausreicht, hatten wir eine Menge Leute aus der Kirchengemeinde eingeladen. Tatsächlich stellten diese dann auch knapp die Mehrheit unserer Gäste an dem besagten Sonntag: zehn Personen einschließlich des Kaplans. Außer diesen besuchten uns zwei Nachbarinnen aus dem Haus - was natürlich ebenfalls wichtig ist! -, und die übrigen Gäste waren solche, mit denen wir schon länger befreundet sind. Aus letzterer Kategorie hatten ziemlich viele aus terminlichen Gründen (Urlaubssaison...) absagen müssen, da wäre also eventuell noch mal ein Extra-Termin ins Auge zu fassen.

"Die Blumenfrau ist auf unserer Seite." - "Die Blumenfrau ist IMMER auf der richtigen Seite!"
Da ich gerade den Kaplan erwähnte: Der kam nicht einfach nur "zu Besuch" (das natürlich auch), sondern auch und vor allem, um die Wohnung zu segnen. Das war sehr schön und eindrucksvoll und sorgte bei den (zu diesem Zeitpunkt nur wenigen) nicht-katholischen Gästen für große Augen. 

"Da es hier ja wohl kein Weihwasser gibt... [Küchenwasserhahn auf] ...müssen wir erst mal das Wasser segnen." 

"Den Rest vom Weihwasser bekommt die Blume." 
Die Orchidee hat uns eine Dame aus der Kirchengemeinde geschenkt. 
Fast unnötig zu sagen, dass Gastfreundschaft ganz allgemein ein wichtiger Bestandteil der Benedict Option ist; und nachdem uns dieser Wohnungseinweihungs-Tag ausgesprochen viel Freude bereitet hat, freuen wir uns darauf, in Zukunft (wenn wir aus dem Urlaub zurück sind) öfter Gäste zu empfangen. Auch das Verhältnis zu den Nachbarn im Haus gilt es zu pflegen; und da zeichnen sich in Verbindung mit dem Projekt "Foodsaving" interessante Möglichkeiten ab. Bereits bei der Einweihungsfeier haben wir den Gästen große Mengen gefüllter Blätterteigtaschen aufgetischt, die wir einige Tage zuvor in einer Bäckerei gratis abgegriffen, eingefroren und dann im Ofen aufgebacken hatten; und wir haben in Erfahrung gebracht, dass es in unmittelbarer Nähe unserer neuen Wohnung mindestens zwei Bäckereien gibt, die prinzipiell interessiert wären, regelmäßig mit dem Foodsharing-Netzwerk zu kooperieren. Wenn's gut läuft, könnten wir demnächst das ganze Haus mit kostenlosen Backwaren versorgen - nach dem Motto: Neuevangelisation geht (manchmal auch) durch den Magen...

Kurz und gut, wir sind voller Zuversicht und Enthusiasmus hinsichtlich der Möglichkeiten, die sich uns durch den Umzug in die neue Wohnung eröffnen. Nebenbei sei angemerkt, dass wir mit unserer Initiative "Der Mittwochsklub" nun auch im Pfarrbrief der örtlichen Kirchengemeinde stehen. Man darf gespannt sein, wie sich das auf den Besuch unseres nächsten "Dinner mit Gott" (am 6. September) auswirken wird...

(Dieses Bild entstand während des Küchenaufbaus. Als die Gäste kamen, sah es nicht mehr SO chaotisch aus.) 

Sonntag, 23. Juli 2017

In Alltagskleidung der Alltäglichkeit des Alltags entfliehen?

Die Urlaubssaison ist da, und nachdem meine Liebste und ich unseren Umzug innerhalb Berlins endlich weitestgehend über die Bühne gebracht haben und in Berlin und Brandenburg die Ferien begonnen haben, sind auch wir erst mal weggefahren. Derzeit befinden wir uns in Lourdes, worüber es selbstverständlich allerlei zu berichten geben wird, doch dazu später. Ab der zweiten Ferienwoche steht dann ein bisschen Heimaturlaub an. In meiner Heimat, heißt das. Also in Nordenham, voraussichtlich mit einigen Abstechern nach Butjadingen hinein. Zur Einstimmung habe ich schon vor dem Urlaub damit begonnen, meine Beobachtung der dortigen Lokalpresse zu intensivieren. Und zwar insbesondere soweit es Nachrichten aus dem kirchlichen Bereich betrifft.



Natürlicherweise stehen dort die Zeichen derzeit auf Urlauberseelsorge, besonders an den Strandbädern Butjadingens. Die Stadt Nordenham selbst verfügt ebenfalls über einen Strand, aber an diesem herrscht seit Menschengedenken Badeverbot. Nicht so der Touristenmagnet. Die örtliche evangelische Kirchengemeinde bemüht sich dennoch, diesen Strand für ein seelsorgerisches Angebot zu nutzen, das sowohl Urlauber als auch Einheimische ansprechen soll. Darüber berichtet die Lokalausgabe der Nordwest-Zeitung unter der Überschrift "Wir stehen hier - egal ob's regnet oder stürmt". Fehlt eigentlich nur noch "Wir können nicht anders, Gott helfe uns, Amen."  

"Nordenham hat viele Perlen", wird Pfarrerin Heike Boelmann-Derra in dem Artikel zitiert. „Eine davon ist der Strand. Hier wollen wir die Abendstimmung am Wasser einfangen, wollen uns an ihr erfreuen und den Menschen die Möglichkeit geben auszuspannen. Und wir wollen ihnen neue Impulse geben.“ Na okay, warum nicht! "Einen Tisch und eine Kerze – viel mehr brauchen die Pastoren nicht für ihre Abendandachten. [...] Die Liederzettel kommen in Folien. Schließlich ist auch die Kirche vor schlechtem Wetter nicht gefeit" - na, das wäre ja auch noch schöner! Aber mal im Ernst: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das mit den Abendandachten am Strand eine schöne Sache ist. Wenn der NWZ-Artikel allerdings gleich mit den Sätzen beginnt "Raus aus den altehrwürdigen Gemäuern der Gotteshäuser, rein in die Natur: Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Nordenham geht nach draußen – ohne Altar und Talar, sondern ganz locker in Alltagskleidung", dann frage ich mich schon, ob man eine neue Idee nicht bewerben kann, ohne dabei das Alte, Gewohnte, Traditionelle abzuwerten. So als wäre es per se ein begrüßenswerter Fortschritt, auf "Altar und Talar" zu verzichten. 

Ich gehe aber mal wohlwollend davon aus, dass dieser Unterton auf das Konto des NWZ-Redakteurs geht und nicht auf das der beiden evangelischen Geistlichen. Die werden schließlich selbst am besten wissen, dass ihre Strandandachten kein Ersatz für einen "richtigen" Gottesdienst sind, sondern lediglich ein ergänzendes Angebot. Und dass es somit Quatsch wäre, das eine gegen das andere ausspielen zu wollen. Bezeichnend sind die zitierten Sätze aber trotzdem. Insbesondere registriere ich ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen der lobenden Erwähnung der 'lockeren' Alltagskleidung und der Aussage des Pastors Christopher Iven "Die Menschen sollen mal ihrem Alltagsstress entfliehen können".

Nun gut: Wenn Mr. Rogers zu Beginn einer jeden Folge von Mr. Rogers' Neighborhood (kennste nich', lieber Leser? Unbedingt ansehen!) sein Sakko und seine Straßenschuhe aus- und eine Strickjacke und Sneakers anzieht, dann kann man durchaus sagen, beides sei auf seine Art Alltagskleidung. Dennoch ist der oben angedeutete Widerspruch keineswegs banal: Man sollte doch denken, wenn man den Menschen etwas anbieten will, was sie auf eine ihnen wohltuende Weise ihrem Alltag entrückt, dann sollte sich dieses Angebot auch äußerlich möglichst deutlich von ihrem Alltag unterscheiden. Dennoch scheint in der Pastoral seit einigen Jahrzehnten der gegenteilige Ansatz vorzuherrschen: Man will dem Alltag der Menschen möglichst nahe kommen. "Die Leute da abholen, wo sie stehen", nennt man das dann. In der Seelsorge: klar. Wo soll man die Leute sonst abholen, wenn nicht da, wo sie stehen. Aber im Gottesdienst? Vor ein paar Wochen, am 7. Juli, feierte Papst Franziskus eine Messe mit Angehörigen der vatikanischen Wirtschaftsbetriebe -- in einer Werkhalle. Sicher wird es Leute geben, die das für eine tolle Idee halten. Man sehe sich aber unbedingt an, was Benjamin Leven, Redakteur der Herder Korrespondenz, dazu zu sagen hat. Ein Auszug:
"Warum um alles in der Welt sollte ein Arbeiter dort den Gottesdienst feiern wollen, wo er schon den ganzen Tag an der Drehbank steht? [...] Das Leben ist so oft von Anstrengung, Sorgen und Ärger bestimmt. [...] Da sollte der Gottesdienst unbedingt so schön und heilig wie möglich sein, um uns zu erheben und uns näher zu Gott zu führen. Er sollte darum auf keinen Fall an einem 'Ort des Alltags' stattfinden. Was soll dieser Unsinn?" 
Dem 5. Kapitel der Benedict Option - das ich in Kürze ausführlich auszuwerten gedenke, vielleicht aber auch erst nach dem Urlaub - verdanke ich den Hinweis auf eine Studie des Kulturanthropologen Paul Connerton über Rituale, die das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft prägen. Connerton stellt darin fest, dass solche Rituale umso wirkungsvoller sind, je deutlicher sie sich vom Alltag abheben. (Oder hat irgend jemand ernsthaft gedacht, Priester würden sich nur deshalb Messgewänder anziehen, weil das vor Jahrhunderten mal so festgelegt wurde und man es versäumt hat, "mit der Zeit zu gehen"?)

Gleichzeitig betont Connerton aber auch, dass Rituale davon leben, in ihren wesentlichen Elementen stets unverändert zu bleiben. Dank einer Schilderung des Hl. Justin, eines frühchristlichen Apologeten und Märtyrers, wissen wir, dass die grundlegenden Elemente des christlichen Gottesdienstes in ihrem Inhalt und in ihrer Abfolge schon im 2. Jh. im Wesentlichen dieselben waren wie in der Katholischen Kirche und vielen anderen christlichen Konfessionen (einschließlich der evangelisch-lutherischen) noch heute. Aber in jüngerer Zeit trifft man immer mal wieder auf die Auffassung, man müsse den Leuten "mal was Anderes" bieten. Das ist, ich deutete es schon an, nicht unbedingt immer und überall falsch. Die Annahme, es sei grundsätzlich ein Gewinn, etwas anders zu machen, als die Leute es "gewohnt" sind, krankt allerdings an mehreren Missverständnissen. Zunächst einmal verkennt diese Annahme den von Connerton betonten Charakter von Ritualen. Wer mit einem Ritual vertraut ist, den langweilt es nicht, dass es immer dasselbe ist - ebensowenig wie es ein Kind langweilt, immer wieder dieselbe Gutenachtgeschichte zu hören. Im Gegenteil, genau das will das Kind - und zwar immer im exakt selben Wortlaut. Abweichungen werden gern vorwurfsvoll korrigiert. Ein anderer Aspekt ist, dass dem heutigen Menschen in der westlichen Welt die tradierten religiösen Rituale vielfach gar nicht mehr so vertraut sind. Nicht nur im kirchlichen Bereich, sondern in nahezu allen Bereichen der Kultur hat es in der Generation der Baby-Boomer einen massiven Traditionsbruch gegeben: Traditionen wurden verworfen, einfach nur, weil sie Traditionen waren. Die Folge ist, dass für die Kinder und Enkel der Baby-Boomer das Althergebrachte vielfach gerade nicht mehr das Bekannte und Vertraute ist - weil sie, wie es so unschön heißt, nie daran herangeführt wurden. Wenn man diesen Generationen etwas (für sie) "Neues" bieten will, könnte man es also eigentlich erst mal mit dem "Alten" versuchen. Das Problem daran ist, dass der Mensch, wie gerade eben ausgeführt, zumeist eben doch an dem hängt, was ihm vertraut ist. Auf diese Weise treten "neue Traditionen" an die Stelle von alten - was den offenkundigen Nachteil hat, dass die von der Baby-Boomer-Generation installierten "neuen Traditionen" zumeist wesentlich banaler und doofer sind als die der vorherigen zwei Jahrtausende. Rom wurde eben nicht an einem Tag erbaut. An dieser Stelle noch einmal ein Rückgriff auf den NWZ-Artikel zu den Strandandachten in Nordenham: Was genau soll da laut Pfarrerin Boelmann-Derra eigentlich stattfinden? "Wir wollen gemeinsam bekannte Lieder singen." Ah ja. Alles klar. Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.

Aber eigentlich will ich ja gar nicht meckern. Heike Boelmann-Derra ist eine erfahrene Seelsorgerin und hat das Konzept der Strand-Abendandachten schon acht Sommer lang auf Langeoog praktiziert. Sie wird wissen, was sie tut. Wenn die Andachten, die für jeden Mittwochabend im Juli geplant sind, im August nicht fortgesetzt werden, werden meine Liebste und ich wohl keine Gelegenheit haben, uns selbst von ihrer Qualität zu überzeugen; aber das ist vielleicht auch nicht so schlimm.

Dazu, was derweil die katholische St.-Willehad-Gemeinde in Sachen Urlauberseelsorge so auf die Beine stellt, wollte ich eigentlich auch noch was schreiben, aber dieser Artikel ist wohl schon lang genug geworden. Daher sage ich an dieser Stelle mal: Alles Weitere später!


Mittwoch, 19. Juli 2017

Die "Benedict Option" und die Blogoezese - Eine kleine Feedbackrunde

Gut zwei Monate ist es jetzt her, dass ich mit einem Artikel in der Tagespost einen ersten Anlauf gestartet habe, die Debatte um Rod Drehers am 14. März in den USA erschienenes Buch "The Benedict Option" nach Deutschland zu holen - und das Buch selbst nach Möglichkeit auch. Was Letzteres betrifft - also eine deutschsprachige Ausgabe der "Benedict Option" - gibt es nach meinem derzeitigen Kenntnisstand noch nichts wirklich Spruchreifes zu vermelden, aber eine Notiz auf Rod Drehers eigenem Blog deutet schon mal an, dass sich in dieser Hinsicht etwas bewegt. Davon abgesehen hat mein besagter Tagespost-Artikel - der allererste Beitrag über dieses Buch in der deutschsprachigen Presse, wenn ich mich nicht ganz stark täusche - eine persönliche Begegnung mit dem Autor nach sich gezogen, über die ich dann wiederum in der Tagespost berichtet habe; und hier auf meinem Blog erscheint fortlaufend eine Artikelserie mit Auszügen aus den einzelnen Kapiteln des Buches und meinen Anmerkungen  dazu. Soweit, so schön. Aber schauen wir uns doch mal an, was Andere in den vergangenen gut zwei Monaten zu diesem Thema geschrieben haben! 


  • Am schnellsten - soweit ich das überblicke - reagierte Catholicism Wow: Bereits am 16.05. erschien dort ein Beitrag mit dem Titel "Kulturkatholizismus und die Benedikt-Option", der sowohl auf meinen Tagespost-Artikel als auch auf den ersten Teil der diesbezüglichen Artikelreihe auf meinem Blog verwies. Besonders interessant ist, dass Catholicism Wow einen inhaltlichen Bezug zu dem am 07.05 auf dem Blog Commentarium Catholicum erschienenen, sehr lesenswerten Essay "Kulturkatholizismus" von Martin Recke herstellt. Die Benedict Option wird gewissermaßen als Antwort auf die von Martin Recke angesprochenen strukturellen Probleme der Kirche in einer weitgehend säkularisierten Kultur empfohlen. Im Kommentarbereich des Catholicism Wow-Beitrags finden sich zudem Links zu einigen informativen englischsprachigen Sekundärquellen zur Benedict Option
  • Gut eine Woche später, am 24.05., griff der traditionalistisch orientierte (oder sagen wir: in besonderem Maße der Pflege der außerordentlichen Form des römischen Ritus verpflichtete Blog Summorum Pontificum das Thema unter der Überschrift "Die 'Option Benedikt'" auf. Der trotz eines Hinweises auf meinen Tagespost-Artikel ganz eigenständige Beitrag, der auch auf Rezensionen aus den USA eingeht, kommt zwar zu der etwas befremdlichen Einschätzung "In 'The Benedict Option' kommt das Thema 'Liturgie' praktisch nicht vor" -- tatsächlich spielt Liturgie nämlich im 5. Kapitel des Buches, auf das ich demnächst ausführlich zu sprechen kommen werde, eine ganz zentrale Rolle --, urteilt aber letztlich dennoch: "Die Option Benedikt kann Priestern oder Gemeinschaften, die sich der überlieferten Lehre und Liturgie verpflichtet sehen, wertvolle Anregungen geben, wie sie ihren Bestand sichern, den Kinder ihrer Gläubigen eine katholisch Erziehung vermitteln, Folgen wirtschaftlicher Diskriminierung abmildern und letztlich eine höhere Form des christlichen Lebens erreichen können." 
  • In der Online-Zeitung "the GermanZ" erschien am 17.06. ein Beitrag von Peter Winnemöller mit dem Titel "Geiz ist nicht geil, sondern eine Sünde", der sich, ausgehend von einer Würdigung der katholischen Soziallehre, kritisch mit der institutionellen (und nicht zuletzt finanziellen, nämlich kirchensteuergestützten) Verfasstheit der Kirche in Deutschland auseinandersetzt und dann auf die Benedict Option als eine "richtig gute Idee" zur geistlichen Erneuerung der Kirche zu sprechen kommt: "Im Übergang von der Postmoderne in das, was kommen wird, sind es solche und ähnliche Ideen, um den Weg Europas in die kommende Zeit zu finden. Was wir kannten, geht gerade unter. Das Neue kennen wir noch nicht. Bleibt zu hoffen, daß das Buch von Rod Dreher seinen Weg über den großen Teich findet, um hier so intensiv diskutiert werden zu können, wie in es den USA bereits der Fall ist."  
  • Am 19.06. stellte der Blog "Empfehlenswerte Bücher Artikel Filme" die Benedict Option unter der Artikelüberschrift "Der mühsame Aufbau einer christlichen Gegenkultur" vor. Das Fazit der Rezension lautet: "Ob es schließlich zum Aufblühen einer „christlichen Gegenkultur“ kommen wird, wird von der Großzügigkeit und Glaubenstreue der jetzigen Generation von bekennenden Christen abhängen. Dreher’s Buch ist deshalb lesenswert und gibt viele Anregungen, im eigenen Umfeld kreative Wege zu gehen…".  
  • Eine eher überraschende Erwähnung der Benedict Option findet sich in einem am 24.06. auf dem Blog "Domgeflüster - Katholisch in Salzburg" erschienenen Artikel mit dem Titel "Pastavariationen". Dabei handelt es sich zunächst um eine Replik auf den vieldiskutierten "Rant" eines angehenden Pastoralreferenten über die ihm blühenden Arbeitsbedingungen - ich habe unlängst auch etwas zu dieser Debatte geschrieben. Im Schlussteil seiner Erwiderung stellt Domgeflüster-Autor Simon Löschke festr, angesichts der diversen Frustrationsquellen für Mitarbeiter im kirchlichen Dienst und/oder engagierte (bzw. engagementswillige) Gläubige seien "alternative Konzepte nötig", und merkt an: "Die Benedict Option, von der ich bisher nur am Rande gehört habe [...], scheint mir ein gutes Konzept in diesem Wirrwarr zu sein." 
  • Am 03.07. war Peter Winnemöller bei der "Katholischen Presseschau" von "Kirche in Not" zu Gast und sprach mit Moderator Anselm Blumberg unter anderem auch über die Benedict Option. Am 04.07. legte er dann auf seinem Blog "katholon" noch einmal nach: "Das Dilemma des Christen in Politik und Gesellschaft" ist der mit einem Bild des Hl. Benedikt illustrierte Artikel überschrieben, der einen Bogen von der Freiburger Konzerthausrede Benedikts XVI. (Stichwort "Entweltlichung") über die "Dekonstruktionen von Ehe, Familie und Elternschaft", die ihren jüngsten, aber nach Peter Winnemöllers Überzeugung noch lange nicht endgültigen Ausdruck in der Zustimmung des Bundestags zur sogenannten "Ehe für alle" gefunden hat, zu der Frage schlägt, was Christen in einer zunehmend post-christlichen Gesellschaft eigentlich noch von der Politik erwarten können. Genau das ist auch eine der Grundfragen von Rod Drehers Buch, das Peter Winnemöller im letzten Drittel seines Artikels folgerichtig erneut empfiehlt: "[J]e weiter die praktische Dekonstruktion unserer Gesellschaft fortschreitet, umso notwendiger wird [...] der Aufbau zahlreicher Parallelstrukturen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen."  
  • Und am 09.07. erschien auf dem Blog des konservativen österreichischen Journalisten Andreas Unterberger ein Gastbeitrag von Johannes Leitner unter dem Titel "'Ehe für alle', warum denn nicht?", der im Zusammenhang mit der Frage, was die rechtliche und, womöglich noch wichtiger, auch begriffliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der ("traditionellen") Ehe für gläubige Christen bedeutet, ausführlich auf die Benedict Option eingeht und dabei auch Übersetzungen von Passagen anbietet, die in meiner Artikelreihe noch gar nicht drangekommen sind. "Folgt man Dreher, ist es für Christen hoch an der Zeit, die Vorstellung, man könne als Christ in der säkularen Gesellschaft einfach weiter mitschwimmen und halt darüber hinaus noch bestimmte christliche Akzente setzen, aufzuräumen und aufzuwachen", resümiert Johannes Leitner. "Ich empfehle dazu die Lektüre seines Buches ausdrücklich."  

So, und das wäre dann erst mal alles (oder jedenfalls alles Nennenswerte), was ich im deutschsprachigen Netz zu diesem Thema gefunden habe. Sollte ich etwas übersehen haben, würde ich mich um Hinweise meiner aufmerksamen Leser freuen...


Donnerstag, 13. Juli 2017

The KjGay took my Baby away

Nach dem Bistum Münster hat nun auch das Erzbistum Berlin mit der irrtümlichen, voreiligen oder redaktionell nicht abgesprochenen Veröffentlichung eines Beitrags auf Facebook, der bald darauf wieder gelöscht wurde, einen Bock geschossen - was insofern vielleicht verzeihlicher ist, als die Hauptstadtdiözese sich, anders als Münster, keine personell und somit wohl auch finanziell gut ausgestattete Social-Media-Redaktion leistet, sondern, wie Pressesprecher Stefan Förner auf Anfrage mitteilte, ihren Facebook- und Twitter-Auftritt nebenamtlich von rund 30 Personen betreuen lässt, die eigentlich andere Aufgaben innerhalb der Diözese haben - "PGR- und Diözesanratsmitglieder, Priester und Diakone, Menschen aus der Berufungspastoral, etc.". Geschenkt. Viel interessanter als die Frage, wie genau es zu dem umstrittenen Facebook-Posting gekommen ist, ist es allemal, was da "geleakt" (und alsbald wieder gelöscht) wurde: Beim Bistumsjugendtag im vorpommerschen Badeort Zinnowitz hatte die KjGay, eine Gruppe innerhalb des Jugendverbands "Katholische junge Gemeinde" (KjG), Kondome verteilt, deren Verpackungen mit "frechen" Slogans geschmückt waren. 

Ich vermute mal, ziemlich viele Leute - darunter ich - haben durch das Facebook-Posting des Erzbistums erstmals überhaupt von der Existenz einer Gruppe namens KjGay erfahren. Die hat allerdings auch eine eigene FB-Seite, und auch auf der Website der KjG ist diese Untergruppe zu finden. Wieder was gelernt. 

Und was macht die KjGay so, wenn sie nicht gerade in Zinnowitz Kondome verteilt? - Der Name der Gruppe lässt darauf schließen, dass sie sich speziell an Homosexuelle wendet, und das ist ja zunächst mal - jedenfalls potentiell - etwas Gutes. Die Kirche hat von Jesus Christus schließlich einen klaren Auftrag bekommen, der da lautet: "Macht alle Menschen zu meinen Jüngern" (Mt 28,19). Alle Menschen - das verbietet es, irgendeine Gruppe von vornherein auszuschließen. Zudem betont auch der Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2358, homosexuell veranlagte Menschen seien in keiner Weise "ungerecht zurückzusetzen": "Auch diese Menschen sind berufen, in ihrem Leben den Willen Gottes zu erfüllen". Gleichzeitig betont der Katechismus aber unter Nr. 2357, homosexuelle Handlungen - also sexuelle Kontakte zwischen Menschen desselben Geschlechts - seien "in keinem Fall zu billigen". Und da fangen im Verhältnis zwischen Homosexuellen und Katholischer Kirche üblicherweise die Probleme an. 

Was kann man "als Kirche" tun, um homosexuell empfindenden Menschen Wertschätzung zu zeigen und sie willkommen zu heißen, während man sich gleichzeitig dazu bekennt, dass praktizierte Homosexualität - um nochmals den Katechismus zu zitieren - "in sich nicht in Ordnung" ist? Die sexualethischen Positionen der Katholischen Kirche mögen auch in vielen anderen Punkten unpopulär sein, aber da hätte ich keine Schwierigkeiten, aus dem Stand einen Vortrag darüber zu halten, dass die diesbezügliche Lehre der Kirche dennoch richtig und gut für die Menschen sei. Wenn ich jedoch - als jemand, der glücklich kirchlich verheiratet ist und den somit nichts daran hindert, ein erfülltes Sexualleben mit dem Segen der Kirche zu führen - einem Homosexuellen erklären sollte: "Tja, sorry, für dich bleibt nur sexuelle Enthaltsamkeit", dann hätte ich damit rein vom Gefühl her durchaus Schwierigkeiten. Glücklicherweise gibt es Leute, die in einer wesentlich besseren Position für solche Erklärungen sind als ich: nämlich Menschen, die selbst homosexuell und gleichzeitig gläubige und praktizierende Katholiken sind und den Konflikt zwischen ihren sexuellen Neigungen und der Lehre der Kirche somit buchstäblich am eigenen Leibe erfahren. Und darüber schreiben. Es gibt da zum Beispiel Daniel Mattson, der ein Buch mit dem Titel "Why I don't call myself gay" veröffentlicht hat, aber auch Joseph Prever - übrigens der Bruder der wundervollen Simcha Fisher -, der sich selbst sehr wohl als "gay" bezeichnet. 

Ich möchte annehmen, dass es auch im deutschen Sprachraum Gruppen und Einzelpersonen gibt, die sich darum bemühen, als Homosexuelle im Einklang mit der Lehre der Katholischen Kirche zu leben - und die zu diesem Thema einiges zu sagen haben dürften. Die KjGay allerdings scheint ihre Aufgabe - den oben genannten Informationsquellen nach zu urteilen - eher nicht in diesem Sinne zu verstehen. Wenn diese Gruppe über sich selbst sagt, sie wolle sich "stark machen für eine Vielfalt der Geschlechter und der Sexualitäten", dann sieht das vielmehr danach aus, dass sie die LGBTTIQ-Agenda in die Kirche hineintragen will. 

Schon mal verwendetes Symboldbild; Quelle hier
Bei der Kondomverteilung in Zinnowitz allerdings ging es ja offensichtlich gar nicht speziell um Homosexualität. Auf der Facebook-Seite der Gruppe findet sich ein Video mit einem auf der Bühne des Bistumsjugendtages abgegebenen Statement eines KjGay-Vertreters; ich fasse es mal kurz und dreckig zusammen: 

  • Die Kirche lehrt gar nicht das, was sie lehrt, "sonst würde ich hier ja wohl nicht stehen". 
  • "Sogar Papst Benedikt hat gesagt...", und was er tatsächlich gesagt hat, verstehen wir einfach mal so, wie es uns passt, auch wenn er's ganz anders gemeint hat. 
  • Die Kondome sind übrigens lange haltbar, ihr könnt also auch erst mal heiraten, ehe ihr... höhö... Ihr wisst schon: Kein Sex vor der Ehe... höhö. 
  • Und übrigens, die Kirche lehrt natürlich doch das, was sie lehrt, aber wir sind jung und wissen es besser, und mit ein bisschen Glück erleben wir es noch, dass die Kirche das auch endlich einsieht. 

Angesichts dieses dummdreisten Statements könnte man Lust bekommen, in die Tischkante zu beißen; aber mich erinnert es vor allem an eine Passage aus Rod Drehers The Benedict Option
"Dies sind keine schlechten Leute. Vielmehr sind es junge Erwachsene, die von ihrer Familie, ihrer Kirche und anderen Institutionen, die ihr Gewissen und ihre Vorstellungskraft gebildet oder vielmehr gerade nicht gebildet haben, furchtbar im Stich gelassen wurden." 
Kann man den jungen Leuten wirklich einen Vorwurf daraus machen, dass sie das, was die Kirche zum Thema Sexualität lehrt, weder verstehen noch auch nur einsehen, weshalb es für sie relevant sein sollte? Hat überhaupt mal jemand versucht, es ihnen zu erklären, oder hat die Katechese dieses Thema nicht vielmehr verschämt ausgeklammert, um nur ja nicht anzuecken, oder den Jugendlichen allenfalls vermittelt "Na ja, so und so ist halt die offizielle Lehre, wie sie von zölibatär lebenden (oder zumindest so tuenden) alten Männern vertreten wird, aber ihr müsst das nicht so ernst nehmen - folgt einfach eurem Herzen, dann macht ihr's schon richtig"? 

Tja, und das kommt dann eben dabei raus. 

Zur "Katholischen jungen Gemeinde" (KjG), unter deren organisatorischen Dach sich die KjGay tummelt, möchte ich übrigens so nebenbei auf etwas hinweisen, was ich schon in einem früheren Artikel mal schrieb - ich zitiere der Einfachheit halber mal mich selber: 
1983 löste das "Rote Songbuch" der KjG eine heftige kircheninterne Kontroverse aus, an die der Verband auf seiner Website mit erkennbarem Stolz erinnert: Die Liedersammlung
"enthielt u.a. Lieder, die sexuelle Verfehlungen von Geistlichen thematisierten (z.B. das Lied "Es wollt' ein Bauer früh aufstehn"), dazu Lieder aus der Arbeiterbewegung ("Brüder, zur Sonne, zur Freiheit"), aber auch moderne Lieder, die sich kritisch mit Religion auseinandersetzen ("Wenn et Bedde sich lohne dääd" von BAP) oder eine befreite Sexualität fordern ("Denn ich will" von André Heller),
womit die Redaktoren des Songbuchs neben einem entschiedenen Willen zur Provokation auch einen ausgeprägt schlechten Geschmack unter Beweis stellten. Die Deutsche Bischofskonferenz, allen voran der erst kurz zuvor neu ins Amt gekommene Bischof von Fulda, Johannes Dyba, forderte nach wenigen Wochen einen Verkaufsstopp des Songbuchs, "begleitet von der Drohung, die KjG andernfalls aufzulösen bzw. nicht mehr als katholische Jugendorganisation anzuerkennen". Tatsächlich wurde die Liedersammlung vom Markt genommen, konnte sich jedoch "als Schwarzkopie rasch verbreiten". -- Der Name "Rotes Songbuch" bezog sich vordergründig sicherlich auf die Einbandfarbe, ist aber wohl - nicht zuletzt in Hinblick auf die darin enthaltenen "Lieder aus der Arbeiterbewegung" - auch in anderer Hinsicht durchaus passend; etwas heikel ist es in diesem Zusammenhang allerdings, dass nach dem Verkaufsstopp des "Roten Songbuchs" als entschärfte Ersatzversion ein "Braunes Songbuch" veröffentlicht wurde. 
Aber das, wie gesagt, nur am Rande. -- Der Umstand, dass die Kondomverteilaktion in Zinnowitz durch das redaktionell nicht abgestimmte Teilen eines KjGay-Facebook-Eintrags auf der Seite des Erzbistums Berlin erhebliche - sagen wir mal - kritische Aufmerksamkeit auf sich zog, veranlasste den Pressesprecher des Erzbistums schließlich zu einer Stellungnahme, und zwar wiederum auf Facebook
"In eigener Sache zu Kondomen, KJGay etc.: Beim Bistumsjugendtag 2017 hat eine Gruppe mit dem Namen 'KjGay Berlin' eine Verteilaktion von Kondomen vorgenommen. Diese Aktion war mit den Organisatoren des Bistumsjugendtages nicht abgesprochen und wird von ihnen abgelehnt. Eine Fortführung der Verteilung wurde vor Ort unterbunden. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Themen Sexualität und Diskriminierung ist eines der Anliegen in der Jugendarbeit im Erzbistum Berlin. Dafür werden auch sexualpädagogische Veranstaltungsformate angeboten. Das Verteilen von Kondomen gehört nicht dazu. Grundlage ist das 'Sexualpädagogische Konzept für die Kinder- und Jugendarbeit im Erzbistum Berlin'. Stefan Förner, Pressesprecher, verantwortlich für diese fb-Seite." 
Die KjGay selbst veröffentlichte derweil ein "Positionspapier", das darauf schließen lässt, dass die Gruppe doch ein bisschen Angst vor der eigenen Courage bekommen hat: Der Text wiederholt zwar weitgehend den Quatsch aus dem Bühnenstatement (s.o.), jedoch in erheblich defensiverem Tonfall. Der Aussage des Erzbistums-Pressesprechers Förner, die Kondomverteilungsaktion sei "unterbunden" worden, widerspricht die KjGay allerdings. 

Für die bei dieser Aktion verteilten Kondome, so betont die KjGay in ihrem "Positionspapier", seien "keine Gelder der Kirche" ausgegeben worden. Ich schätze allerdings, auch über dieses Detail hinaus dürfte es viele Katholiken interessieren, ob und in welchem Umfang die Tätigkeit der KjGay aus Kirchensteuermitteln gefördert wird. Aber reden wir nicht nur über Geld. Es bleiben auch noch andere Fragen offen - einige davon hat ein Bloggerkollege in einer nichtöffentlichen Facebook-Diskussion zusammengestellt: 
"Wenn die Verteilaktion abgelehnt und unterbunden wurde, warum feiert die KJGay sich für diese Aktion? Gibt es Konsequenzen seitens des Bistums?Wenn die Aktion abgelehnt und unterbunden wurde, warum wurde diese Aktion dann auf der offiziellen FB-Seite des Bistums beworben? Gibt es ein Gespräch mit dem Verantwortlichen und gibt es Konsequenzen?
Ist die KJGay regelmäßig auf den Jugendveranstaltungen des Bistums präsent? Ist die Zielrichtung der KJGay mit der Linie des Bistums vereinbar?"
Da besteht also noch erheblicher Klärungsbedarf. Schauen wir mal, was man zukünftig noch über diese Sache hören wird. Einstweilen noch ein persönliches Wort: Mich langweilt es ja eher, wenn kirchliche Jugendverbände den der Jugend eigenen Hang zur Rebellion in der Form ausleben, dass sie sich innerkirchlich als Rebellen gerieren, während sie mit den herrschenden Anschauungen ihrer säkularen Umwelt  völlig konform gehen. Umgekehrt fände ich's spannender. Und mutiger. 

Abschließend noch ein erklärender Hinweis an diejenigen meiner Leser, die womöglich - das soll's ja geben - die Überschrift dieses meines Artikels nicht recht einordnen können: 

Nehmt dies!